Wer heute in den Gewerkschaften für das vereinigte Deutschland Tarifpolitik strategisch zu strukturieren und später im Ergebnis zu verantworten hat, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Kräftefelder höchst unterschiedlicher Interessen und Erwartungen widerstreiten, die nur mit Mühe in einem gemeinsamen Nenner zu bändigen sein werden. Und wie in der Wirtschaftsentwicklung verläuft auch hier die wichtigste Grenze entlang der alten staatlichen Demarkationslinie. So dürfte nach dem Willen der Mitglieder im Westen vor dem Hintergrund einer boomenden Konjunktur vor allem das in den letzten Jahren an die Kapitaleignerseite verlorengegangene Verteilungsterrain wiederzuerobern sein. Dazu wird sicher hier auch noch nach einer Kompensation der nach der Bundestagswahl beschlossenen höheren Belastungen gerufen werden. Denn davon war schließlich nicht die Rede gewesen in den Wahlkampfaussagen der wiedergewählten Koalition. Und es dürfte nun, zumindest bei West-Arbeitnehmern die verständliche Neigung bestehen, dies als einen Bruch von Versprechungen anzusehen, der das Recht nach sich zieht, etwaige gesamtdeutsche Solidaritätsappelle von Seiten der Regierung - wie jüngst von Helmut Kohl - fürderhin unbeantwortet zu lassen.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.