Hinterher ist man immer klüger. Bei der deutschen Vereinigung ist das nicht so; das Jahr Eins hat dieses Sprichwort offenbar widerlegt. Nicht schlauer sind wir, sondern vieles ist noch ungewisser als zuvor. Für den neudeutschen Politikstil ist das freilich kein Grund, den Mahnern von gestern die Ehre zu erweisen.
Denn was angeblich alternativlos ist, bedarf auch keiner rückblickenden Rechtfertigung. Politik als Schicksal? - Wie auch immer, am Ende des ersten Vereinigungsjahres besteht Anlaß genug, in nüchternen Bilanzen und engagierten Protokollen dem Gedächtnis und der Politik in der vergrößerten Bundesrepublik auf die Sprünge zu helfen. Solchen Rück- und Ausblicken ist das vorliegende Heft gewidmet. Die Beiträge stammen von ostdeutschen Autorinnen und Autoren, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Dieser Akzent ist programmatisch. Zu Worte kommen jene, die in teilnehmender Beobachtung am meisten in den Vereinigungsprozeß involviert sind, denen aber in den westdeutschen Medien allenfalls Gastrechte eingeräumt werden. Ihre Mitarbeit an dem vorliegenden Heft ist uns wichtig - nicht nur als Betroffene, sondern auch als engagierte Mitstreiter für eine nachholende Demokratisierung des weithin administrativen Vereinigungsvorganges - "Vollzug der Einheit" lautet inzwischen das bürokratische Stichwort.