Ist Unrecht, das Mitverantwortlichen alten Unrechts geschieht, darum kein neues Unrecht? Genügt es in der größeren Bundesrepublik, als heimlichen Zuträger des DDR-Staatsapparats zu verdächtigen, wen man durch öffentliche Vorverurteilung ausschalten will? Was ist das für ein Triumph der Erfolgreichen, der an der Lebensarbeit der Unterlegenen kein gutes Haar läßt? Da stürzen sich die einen Deutschen auf die Vergangenheit der anderen, als könnten sie ihre eigene unerledigte Geschichte damit endgültig loswerden. Solange ich dazu schweige, werde ich mitverantwortlich für diesen Prozeß. Auf meinem Schreibtisch sammeln sich Zeugnisse neuer Ungerechtigkeit.
Das Telefon verlangt, ich müsse etwas tun, mehr als ich kann. Auf meinen Fahrten in die für mich nicht neuen Bundesländer bleibe ich oft stecken in Schleifspuren morastiger Aufrechnerei. Was an Freiheit hinzugewonnen wurde, ist für viele schon wieder verstellt, weil alte Rechnungen auf neuen Konten beglichen werden. Wo ist das Wort von den Brüdern und Schwestern geblieben? Es ist, als wäre es unter der einstürzenden Grenze begraben. In dem notwendigen Verlangen, mit dem alten Unrecht aufzuräumen, stürzt Rechthaberei weit übers Ziel hinaus.