Ausgabe November 1992

Das deutsche Volk und seine Feinde

Seit vielen Monaten kreist das Sinnen und Trachten der Politiker, das Räsonnieren der Medien und das Grollen der Bürger um die Frage, wie man sich hierzulande der Asylbewerber erwehren kann. Statt sich der Vielzahl anderer Probleme zuzuwenden, basteln alle an dem Eindruck, als sei keines davon noch lösbar, bevor nicht dem angeblichen Mißbrauch des Asylrechts ein Ende bereitet worden wäre. Kritische Kommentare wittern ein Ablenkungsmanöver: Die ins Land drängenden Ausländer würden - wie weiland die Juden - zu Sündenböcken gestempelt, um vom Versagen der Politik abzulenken.

So griffig ein solcher Verdacht auch sein mag, er verkürzt unzulässig, wenn er die Ursache allein im taktischen Kalkül der Herrschenden lokalisiert. Die Situation hat komplexere Ursachen. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß herrschende oder zur Herrschaft strebende Kräfte dabei mitzumischen und daraus ihren Vorteil zu ziehen versuchen.

Allerdings besteht schon ein Zusammenhang zwischen den inneren Zuständen einer Gesellschaft und dem Ausmalen eines Feindbildes, das als Bedrohung dieser inneren Zustände erscheint. Das Feindbild festigt den Zusammenhalt einer Gesellschaft. In dieser integrativen Wirkung liegt letztlich auch der positive Effekt begründet, den Feindbilder für Herrschaftsverhältnisse haben.

November 1992

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