Zwischen Nationalismus und Westöffnung
I
Für den europäischen Osten endete das Jahr 1993 mit einem Schock. Der Erfolg, den Wladimir Wolfowitsch Shirinowskijs Liberaldemokratische Partei bei den ersten freien Wahlen zur Staatsduma und zum Föderationsrat Rußlands nach dem Zerfall der Sowjetunion erreichte, hat alte Ängste vor der Wiederkehr einer großrussischen Machtpolitik wachgerufen. Andrzej Olechowski, der polnische Außenminister, las im Wahlergebnis vom 12. Dezember eine von der Wählerschaft unterstützte Wende Rußlands zu imperialem Denken. Aufgeschreckt von den Druckwellen der Re-Nationalisierung aus ihrem früheren Machtzentrum, dessen Zugriff sie sich entronnen fühlten, suchten die politischen Eliten von der Ostsee bis ans Schwarze Meer überstürzt nach neuen Wegen, wie sie den akut erscheinenden Gefahren begegnen könnten. Die erste Reaktion ist wenig selbstkritisch.
Noch wird die Frage zu zögerlich gestellt, ob nicht der eigene Nationalismus den der anderen verstärkt. Kann es nicht sein, daß der Chauvinismus der russischen Rechtsextremisten auch ein Echo der nationalen Trommelwirbel aus den neuen Staaten ist? Kein Zweifel: die Baltischen Staaten, Belarus und die Ukraine verdanken, wie andere, ihre Existenz der Implosion der Sowjetunion. Kein Zweifel auch: die neuen Staaten haben ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrgenommen und sich in Volksabstimmungen von entwürdigender Fremdherrschaft gelöst.