Ausgabe Juli 1995

Eine Herrschaftslehre aus dem Westen

Das fernöstliche Wirtschaftswunder und die Instrumentalisierung des Konfuzianismus

In den letzten Jahren ist die sog. Konfuzianismusthese, die die wirtschaftlichen Erfolge Ostasiens auf die konfuzianische Tradition dieser Länder zurückgeführt, zu einem dominierenden Erklärungsmuster fernöstlicher Entwicklung geworden. Nach dem Scheitern des osteuropäischen Sozialismus scheint das "konfuzianische Wirtschaftsmodell" als Alternative zum westlichen Kapitalismus noch mehr an Anziehungskraft gewonnen zu haben. Bedauerlicherweise besteht die zugrundeliegende Interpretation im wesentlichen aus westlichen Klischees von Ostasien. Überhaupt war die Rezeption jener Philosophie im Westen im Grunde stets ein Spiegelbild der Entwicklung der abendländischen Gesellschaft und ihrer Geisteswelt. Deshalb sagt sie mehr über das Abendland als über ihren Gegenstand aus. 1) Vor dem Hintergrund der Krise der westlichen Ökonomien und ihrer Herausforderung durch aufstrebende Schwellenländer aus Fernost wird die unselige Tradition der europäischen Klischeebildung seit einigen Jahren fortgeschrieben. Dabei blickt man leichtfertig oder absichtlich über die konkrete politisch-gesellschaftliche Verfassung der in Frage stehenden Staaten hinweg - und negiert überdies die demokratischen Ansätze im Konfuzianismus. 2)

Zur Vorgeschichte: Hegel, Weber und das "orientalische Wesen"

Im 17.

Juli 1995

Sie haben etwa 4% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 96% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Euphorie und Ernüchterung: Bangladesch nach dem Aufstand

von Natalie Mayroth, Dil Afrose Jahan

Im September fanden an der Universität Dhaka, einer der wichtigsten Hochschulen Bangladeschs, Wahlen zur Studentenvereinigung statt. Manche sehen sie als Testlauf für die nationalen Wahlen. Daher ist es ein Warnsignal, dass dort ausgerechnet der Studentenflügel der islamistischen Jamaat-e-Islami gewann.

Koloniale Nachwehen: Der Kampf um Kaschmir

von Amadeus Marzai

Ein brutaler Terroranschlag riss am Nachmittag des 22. April das idyllische Baisaran-Gebirgstal im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs aus seiner Ruhe. Es war der Beginn einer rapiden Eskalation im seit jeher angespannten indisch-pakistanischen Verhältnis und könnte sogar zum Ausgangspunkt eines größeren Krieges zwischen den beiden Nuklearmächten werden.

Südkorea: Vom Putschversuch zur Richtungswahl

von Fabian Kretschmer

Es ist mehr als nur ein Klischee, dass die südkoreanische Demokratie zu den lebhaftesten in ganz Asien zählt. Seit der Wahlkampf Anfang Mai offiziell eingeläutet wurde, sind die gläsernen Fassaden der Bürotürme in der Hauptstadt Seoul mit riesigen Plakaten der Spitzenkandidaten zugepflastert.