Ausgabe Juni 1995

Das Raunen der Elite

Die Nacht der Regisseure sollte ein "Film zum hundertsten Geburtstag des Kinos" sein, in dem deutsche Filmemacher ihre Bilanz des ersten Jahrhunderts ziehen" (arte, 29.4.). Aber die "sensationelle Versammlung von Individualitäten", die Edgar Reitz uns vorstellt, ist künstlich montiert einzeln aufgenommene Statements wurden zusammengeschnitten und die übrigen zuhörenden, konzentriert ins Leere blickenden und mit dem Kopf nickenden Künstler per Trick eingeblendet. Das ganze spielt in einem fiktiven Kinosaal, auf dessen Leinwand ab und zu Ausschnitte aus Filmen laufen, und auf dessen Bühne einer ab und zu Klavier spielt. In diesem virtuellen Raum, weder Kulisse noch Studio, sondern ein Produkt des Bildmischers, war ein Gespräch nicht möglich, und vielleicht wäre es auch nicht zustande gekommen, hätten sie alle wirklich und gleichzeitig beieinandergesessen.

Das Arrangement vermittelte eine sterile, lächerliche Feierlichkeit, die exakt auf die narzißtischen, tiefsinnigen Banalitäten abgestimmt schien, die fast alle Beteiligten äußerten. Volker Schlöndorff bekennt, er könne ein deutsches Frauengesicht auf der Leinwand sofort als solches erkennen, und er bedaure es heute, nie mit Romy Schneider gearbeitet zu haben, "weil sie ihm zu deutsch war".

Juni 1995

Sie haben etwa 28% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 72% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.