Ausgabe Februar 1996

Überstunden im Freizeitpark

Rezession herrscht dann, wenn der Nachbar arbeitslos ist, Depression, wenn es einen selbst betrifft. So lautet ein politisches Bonmot in den Vereinigten Staaten. Hierzulande avancierte 1993 ein Kanzlerwort zur Eintrittskarte in die Diskussion über den Standort Deutschland: "Immer kürzere Arbeitszeiten bei steigenden Lohnkosten, immer mehr Urlaub... Meine Damen und Herren, wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, daß wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren." Mit einem Anteil von 10% blieb Deutschland zwar auch 1995 zweitgrößter Exporteur der Welt - der Abstand zum Dritten der Weltrangliste Japan vergrößerte sich sogar leicht. Und die Sozialleistungsquote in Westdeutschland wurde seit der Regierungsübernahme der christlich-liberalen Koalition 1982 bereits von 33,4% auf 30,2% (1994) gesenkt.

Trotzdem werden die angeblich zu kurzen Arbeitszeiten und die Kosten des Sozialstaats für die wachsende Massenarbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. "Mehr Flexibilität bei Löhnen und Arbeitszeiten" - ein ideologischer Dauerbrenner. Inzwischen hat sich ein Deregulierungsfanatismus entwickelt, der auch die "Süddeutsche Zeitung" zum Seufzer veranlaßte (28.12.1995): "Flexibel geht die Welt zugrunde".

Februar 1996

Sie haben etwa 12% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 88% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Flucht vor der Verantwortung: Lieferkettengesetze am Ende?

von Merle Groneweg

Der 11. September erinnert nicht nur an den Einsturz des World Trade Centers in New York, sondern auch an eine der schwersten Katastrophen in der Textilindustrie: den Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Karatschi, Pakistan.

Ohne EU-Mindestlohn kein soziales Europa

von Roland Erne

Nach Jahren antisozialer Politik infolge der Finanzkrise von 2008 standen soziale Fragen in der vergangenen Legislatur der EU wieder weiter oben auf der Agenda. Zwischen 2022 und 2024 verabschiedeten das EU-Parlament und der Rat seit langem wieder mehrere soziale EU-Gesetze, darunter die Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union“.

Drei Millionen ohne Abschluss: Was tun?

von Maike Rademaker

Die Zahl war lediglich einen Tag lang einige Schlagzeilen wert: Rund 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hierzulande haben keinen Berufsabschluss. Maike Rademaker analysiert Gründe und Lösungsansätze.