Das Rechtskunststück ist von hinreißender Akrobatik. Durch die Verurteilung des DDR-Richters Hans Reinwarth bewältigte die westdeutsche Justiz Ende November 1995 in letzter Instanz endlich ihre eigene Nazivergangenheit. Der Bundesgerichtshof fand - erstmals nach einem halben Jahrhundert -, daß er sich von seiner bisherigen Rechtsprechung zugunsten von NS-Kollegen, die exzessive Todesurteile zu verantworten hatten, nunmehr distanzieren sollte. Eigentlich bestand dazu kein Grund. Der DDR-Richter Reinwarth war zu keinem Zeitpunkt Kollege unserer Bundesrichter. Er war in der NS-Zeit weder Mitglied des Volksgerichtshofes, noch eines Sondergerichts, im Gegenteil, er war vorbestraft, er war, wie der Bundesgerichtshof ausdrücklich feststellt", in einem Konzentrationslager inhaftiert und später an der Front in einem Minensuchkommando eingesetzt". Er hat sich erst nach dem Krieg im SED-Staat zum Volksrichter ausgebildet und wurde Beisitzer am Obersten Gericht der DDR. Dabei hat er in den 50er Jahren an der Verhängung des Todesstrafe gegen zwei Spione mitgewirkt und sich somit "des direkten Vorsatzes der Rechtsbeugung" schuldig gemacht. Die Richter, die zwei Jahre zuvor in den USA aufgrund fragwürdiger Indizien Julius und Ethel Rosenberg wegen "Spionage" auf den elektrischen Stuhl brachten, sind bis heute unbehelligt.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.