Ausgabe Juni 1996

Europa zu Zweit

Europa stirbt. Seit dem Abschluß des Vertrags von Maastricht hat es an Umfang unaufhörlich zugenommen, während es zugleich an Kraft verlor. Das ist der (im politischen Sinn) posthume Triumph der Margaret Thatcher und die Niederlage all jener, die von Jean Monnet zu de Gaulle und Mitterrand, von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl ihre Hoffnungen in die europäische Union gesetzt haben. Wir stehen vor einem großen Schlammassel. Wie konnte es dazu kommen? Der Zauber Europas hat, wie wir heute sehen, den Fall der Berliner Mauer nicht überlebt. Was ihre Verwirklichung hätte einläuten sollen, erwies sich als Totenglocke der Europahoffnungen. Weil die nationalen Partikularismen im Bereich der Politik unüberwindlich erschienen, hatte man sich seit langem dazu entschieden, der Ökonomie notgedrungen den Vorrang zu geben.

Warum auch nicht? Aber über eines muß man sich klar sein: Im Geist seiner Gründer war Europa ein Mittel, das den Frieden unter den Vertragspartnern und ihren Schutz vor der äußeren Bedrohung sichern sollte. "Wir werden Euch den allerschwersten Schlag versetzen", hatte ein Diplomat der untergehenden Sowjetunion gesagt. "Wir werden Euch Eures Feindes berauben." Sehr weitsichtig. Heute glaubt niemand mehr in Europa an Krieg. Zu unrecht. Der zitierte Diplomat hätte ergänzen können: "Außerdem werden wir Euch neue Rekruten stellen.

Juni 1996

Sie haben etwa 24% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 76% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Europa