Ausgabe Oktober 1996

Das UN-Votum zum Atomteststoppvertrag und die indische Kritik

Erklärung des indischen Außenministers Shri I.K. Gujearel vor beiden Häusern des Bundesparlaments in Neu Delhi am 11. September 1996 (Wortlaut)

1. Dieses Hohe Haus wird sich erinnern, daß ich am 26. August 1996 hinsichtlich des Atomteststoppvertrages (CTBT) eine Erklärung abgegeben habe, in der ich unsere Einschätzung der Entwicklungen in Genf und unsere Verfahrensweise während der Debatten der Generalversammlung in New York erläuterte. Die anschließende Diskussion war ermutigend, denn sie spiegelte einen nationalen Konsens in einer Frage, die nach Auffassung der Regierung von vitaler nationaler Bedeutung ist. Dieser kraftvolle nationale Konsens fand seinen Niederschlag in der Politik dieser Regierung und dem von ihr während der Diskussionen in New York eingeschlagenen Kurs. Heute möchte ich, mit Ihrer Erlaubnis, die Gelegenheit benutzen, das Hohe Haus über die Entwicklungen in der wiederaufgenommenen Sitzung der 50. UN-Generalversammlung in New York zu informieren.

2. Wie die Ehrenwerten Mitglieder wissen, haben wir in der Genfer Abrüstungskonferenz dem CTBT-Textentwurf unsere Zustimmung versagt, weil er dem Mandat unter keinem Aspekt gerecht wurde. Es ist kein umfassender Vertrag - er erlaubt den Atommächten, ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Rüstungsbereich mittels nicht-explosiver Technologien weiterzuführen. Er ermangelt jeder ernstzunehmenden wirklichen Verpflichtung zur atomaren Abrüstung, und statt einen ersten, entscheidenden Schritt im Abrüstungsprozeß darzustellen, dient er nur dazu, den diskriminierenden Status quo aufrechtzuerhalten. Infolge dessen kann der Textentwurf nicht zur Festigung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen.

3. Vom indischen Standpunkt aus enthält der Vertrag darüber hinaus in Artikel XIV eine unannehmbare Bestimmung, der das Inkrafttreten regelt, mit der Indien trotz unserer klaren Position, diesen Text nicht zu unterschreiben, Verpflichtungen auferlegt werden sollen. Wie die Ehrenwerten Mitglieder wissen, haben wir unsere nachdrücklichen Einwände gegen diese Fassung offengelegt, in bilateralen Diskussionen und in multilateralen Foren. Als diese Klausel nicht geändert wurde, war Indien gezwungen, sowohl in Genf als auch in New York seiner Opposition gegenüber dem Text Ausdruck zu verleihen.

4. Durch einen Verfahrenstrick wurde der Textentwurf in die wiederaufgenommene Sitzung der 50. UN Generalversammlung in New York eingebracht. Wir haben dem Präsidenten der UN-Generalversammlung und allen anderen Delegationen deutlich gemacht, daß eine solche Vorgehensweise die Tatsache nicht verschleiern kann, daß dieser Text ein nicht konsensualer Text ist und das von der Abrüstungskonferenz gegebene Mandat nicht erfüllt. Anschließend haben wir den Präsidenten der UN-Generalversammlung und alle Delegationen außerdem über die Ergänzungen informiert, die notwendig wären, damit der Vertragsentwurf dem Mandat der Abrüstungskonferenz gerecht wird. Dadurch haben wir unsere Befürchtungen bezüglich der Vorgehensweise und die Unzulänglichkeiten im Text des Vertragsentwurf zu Protokoll gegeben. Die Ehrenwerten Mitglieder wissen, daß unsere Ergänzungen eine Verpflichtung zur atomaren Abrüstung innerhalb eines zeitgebundenen Rahmens und einen wirklich umfassenden Vertrag gefordert haben, der alle Länder dazu verpflichtet, von jeglicher Weiterentwicklung, Verfeinerung und qualitativer Verbesserung atomarer Waffen Abstand zu nehmen. Wir haben in diesem Dokument darüber hinaus unsere Ergänzung betreff Artikel XIV über das Inkrafttreten des Vertrages unterbreitet.

5. Die Debatte der UN-Generalversammlung endete letzte Nacht mit der Annahme einer Resolution, welche den mangelhaften CTBT-Text verabschiedete und forderte, frühzeitig eine Signatur-Konferenz einzuberufen. 153 Länder stimmten für den australischen Vorschlag, der von 126 Ländern miteingebracht worden war. Libyen und Bhutan haben wie Indien gegen die Resolution gestimmt. Wir begrüßen ganz besonders, daß unser Nachbar Bhutan, mit dem wir traditionell freundschaftliche Beziehungen unterhalten, unsere Sicht der Dinge teilt. Es ist gleichfalls befriedigend, daß Mauritius, mit dem wir enge Beziehungen unterhalten, sein Verständnis für unsere Position ausgedrückt und sich bezüglich der Resolution enthalten hat. Insgesamt haben sich fünf Länder bei der Resolution enthalten. Bemerkenswerterweise haben sich, obwohl die Resolution von 126 Ländern mitgetragen wurde, viele blockfreie Länder, die ein aktives Interesse an diesem Thema entwickelt haben, nicht an der Einbringung beteiligt. Darunter sind, unter anderen, Indonesien, Malaysia, Sri Lanka, die Arabische Republik Ägypten, Nigeria, Zimbabwe und Mexiko.

6. Der Abstimmung ging eine lebhafte Debatte voran, die sich auf die Abrüstungsperspektive konzentrierte, in welche der CTBT hätte eingeordnet werden sollen. An der Debatte beteiligten sich verschiedene blockfreie Länder. Es gab den weitverbreiteten Ausdruck der Sorge über die Verfahrensweise und die Ansicht, daß dies die Glaubwürdigkeit der Abrüstungskonferenz untergraben könnte. Eine große Anzahl Staaten drückte Unzufriedenheit mit der Klausel über die Inkraftsetzung aus, die beispiellos und eine beklagenswerte Abkehr von internationalen Gewohnheitsrecht sei. Die immamenten Mängel des Vertragstextes wurden durch die an der Debatte teilnehmenden blockfreien Delegationen hervorgehoben, was Gemeinsamkeit mit der indischen Sichtweise widerspiegelte. In Diskussionen haben uns viele Staaten versichert, daß sie die Stichhaltigkeit unserer Bedenken anerkennen. Wir haben den gesicherten Eindruck, daß sogar nach der Annahme des Textes bei vielen Delegationen Unbehagen über das besteht, was tatsächlich erreicht worden ist und auf welche Weise dies Ergebnis zustandekam.

7. In der internationalen Gemeinschaft gibt es Verständnis für Indiens Position. Die Regierung hat die notwendigen Schritte unternommen, um den Dialog mit allen befreundeten Staaten aufrechtzuerhalten und die logische Grundlage unserer Handlungsweise zu erläutern. Wir sind zuversichtlich, daß unsere bilateralen Beziehungen durch unterschiedliche Auffassungen in dieser Frage nicht beeinflußt werden. Tatsächlich hat unser ehrliches und offenes Verhalten und der trotz unterschiedlicher Sichtweisen fortgefühlte Dialog garantiert, daß unsere Stimme mit Respekt gehört wird. Ich muß den Ehrenwerten Mitgliedern meine Dankbarkeit ausdrücken, weil es der Konsens in diesem Haus und in der ganzen Nation war, welcher der Regierungsposition Nachdruck und Glaubwürdigkeit verliehen hat.

8. In Anbetracht dessen, was in Zukunft geschehen könnte, möchte ich diesem Haus versichern, daß wir auch weiterhin unsere Position beibehalten und den CTBT nicht unterschreiben werden. Die Inkraftsetzungsklausel wird sicherstellen, daß dieses Abkommen nicht in Kraft gesetzt wird, bevor seine Befürworter sich nicht bereit finden, diese Klausel zu berichtigen, um jede Möglichkeit zu beseitigen, Indien Verpflichtungen aufzuzwingen. Es hat bislang keine Druckausübung auf Indien gegeben, und wenn es sie in Zukunft gäbe, bin ich sicher, daß dieses Land über die nationale Willenskraft verfügt, auch Pressionen standzuhalten.

9. Die Debatten in der UN-Generalversammlung haben klar gezeigt, daß es eine wachsende Unterstützung für die Annahme eines umfassenden, stufenweisen und zeitgebundenen Programms zur atomaren Abrüstung gibt. Wir werden weiterhin bei den Vereinten Nationen und anderen Foren Initiativ werden, in Einklang mit unserer konsistenten und von Prinzipien geleiteten Politik, um Fortschritte in Richtung unseres gemeinsamen Ziels einer atomwaffenfreien Welt zu erreichen, welches die Sicherheit Indiens und zugleich auch die globale Sicherheit festigen wird.

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