Die Demonstrationen mehrerer hunderttausend Menschen in Belgrad und zahlreichen anderen Großstädten Serbiens Ende November erscheinen vielen ausländischen Beobachtern als eine verspätete Neuauflage der Aufmärsche in Prag und Leipzig im Verlauf des Zusammenbruchs des sowjetischen Imperiums. In Wahrheit handelt es sich nicht um einen breiten antikommunistischen Volksaufstand wie damals in der DDR oder der Tschechoslowakei, sondern um den wahrscheinlich letzten, verzweifelten Versuch der nicht besonders starken bürgerlichen Opposition in Serbien, noch in unserer Zeit einen der brutalsten post-kommunistischen Despoten in Ost und Südosteuropa zu stürzen.
Die Aussichten auf Erfolg sind nicht besonders hoch. Präsident Slobodan Milosevic (55) übernahm im September 1987 die Macht, indem er seinen politischen Ziehvater Ivan Stambolic durch einen Putsch im Zentralkommittee des Bundes der Kommunisten Serbiens ausschaltete. Seitdem sichert Milosevic seine Herrschaft vor allem mittels zweier Instrumente ab: durch totale Kontrolle des staatlichen Fernsehens und weitgehende Gleichschaltung der anderen Medien sowie durch unnachlässige Bespitzelung und Unterdrückung seiner Gegner mit Hilfe des Sicherheitsapparats. Wenn sich die Wut und die Verzweiflung gegen ihn in Straßendemonstrationen entluden, ließ er (wie 1992 und 1993) Panzer und Polizeiknüppel walten.