Ausgabe Mai 1997

Entwurf zur Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 20. März 1997 (Wortlaut)

Am 20. März 1997 legte der Präsident der UN-Vollversammlung, Malysias Botschafter bei Weltorganisation Ismail Razoli, einen Resolutionsentwurf zur Reform des Sicherheitsrates vor ("Papier des Vorsitzenden der Allen Mitgliedstaaten offenstehenden Arbeitsgruppe zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat und zu anderen mit dem Sicherheitsrat zusammenhängenden Fragen"). Danach sind u.a. zwei neue Ständige Sicherheitsratsmitglieder "aus den Industriestaaten" vorgesehen, wobei kein Zweifel daran besteht, daß diese beiden Kandidaten die Bundesrepublik und Japan sind. Seitens der Bundesregierung wurde der Entwurf zwar grundsätzlich begrüßt; Razolis Vorschlag jedoch, den neuen Ständigen Mitgliedern kein Vetorecht einzuräumen, stieß auf Kritik ("Zwei Klassen-Mitgliedschaft"). Wir dokumentieren den Resolutionsentwurf nachstehend im Wortlaut (vgl. in diesem Zusammenhang auch die in den "Blättern" 10/1973, S. 1119 ff. erschienene Charta der Vereinten Nationen). D. Red.

Die Generalversammlung, u n t e r H i n w e i s auf ihre Resolution 48/26 vom 3. Dezember 1993,

i n A n e r k e n n u n g dessen, daß der Sicherheitsrat nach der Charta der Vereinten Nationen die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt,

s o w i e i n A n e r k e n n u n g der in der Charta enthaltenen Aufgaben und Befugnisse der Generalversammlung in Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit,

m i t G e n u g t u u n g über die engere Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung,

f e s t s t e l l e n d, daß die Wirksamkeit, die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der Tätigkeit des Sicherheitsrats von seinem repräsentativen Charakter, seiner Fähigkeit, seiner Hauptverantwortung nachzukommen, und von der Erfüllung seiner Aufgaben im Namen aller Mitglieder abhängt,

i n B e k r ä f t i g u n g der Ziele und Grundsätze der Charta und daran erinnernd, daß sich jeder Mitgliedstaat nach Artikel 2 Absatz 5 der Charta verpflichtet hat "den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme [zu leisten], welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift",

b e t o n e n d, daß die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats eine besondere Verantwortung dafür tragen, die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen hochzuhalten und den Maßnahmen der Organisation zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ihre volle Unterstützung zuteil werden zu lassen,

i n d e r E r k e n n t n i s, daß die Mitgliedstaaten auf vielerlei Weise zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen können, und betonend, daß die Mitglieder des Sicherheitsrats unter gebührender Berücksichtigung ihrer verschiedenen bisherigen Beiträge zu diesem Ziel sowie ferner einer angemessenen geographischen Verteilung der Sitze, wie es in Artikel 23 Absatz 1 der Charta heißt, und ihrer erwiesenen Verpflichtung auf die internationalen Normen sowie ihrer Einhaltung derselben gewählt werden sollen,

i n A n e r k e n n u n g der vom Sicherheitsrat unternommenen Anstrengungen, seine Arbeitsmethoden zu verbessern,

mit Dank K e n n t n i s n e h m e n d von den Bemühungen der Allen Mitgliedstaaten offenstehenden Arbeitsgruppe zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat und zu anderen mit dem Sicherheitsrat zusammenhängenden Fragen, die ihre Arbeit im Januar 1994 aufgenommen hat,

i n d e m B e s t r e b e n, allgemeines Einvernehmen über konkrete Schritte zur Erhöhung der Wirksamkeit, der Legitimität und des repräsentativen Charakters des Sicherheitsrats zu erzielen,

u n t e r H i n w e i s auf Artikel 15 Absatz 1 der Charta und in Anerkennung der Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung,

1. b e s c h l i e ß t, a) die Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat durch Hinzufügung von fünf ständigen und vier nichtständigen Mitgliedern von fünfzehn auf vierundzwanzig zu erhöhen; b) daß die fünf neuen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats nach dem folgenden Modus gewählt werden: i) eines aus den Entwicklungsstaaten Afrikas; ii) eines aus den Entwicklungsstaaten Asiens; iii) eines aus den Entwicklungsstaaten Lateinamerikas und der Karibik; iv) zwei aus den Industriestaaten; c) daß die fünf neuen nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats nach dem folgenden Modus gewählt werden: i) eines aus den afrikanischen Staaten; ii) eines aus den asiatischen Staaten; iii) eines aus den osteuropäischen Staaten; iv) eines aus den lateinamerikanischen und karibischen Staaten;

2. b i t t e t interessierte Staaten, die Mitglieder der Generalversammlung davon in Kenntnis zu setzen, daß sie bereit sind, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten von ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats zu übernehmen;

3. b e s c h l i e ß t, bis zum 28. Februar 1998 mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Generalversammlung die Benennung derjenigen Staaten vorzunehmen, die nach dem in Ziffer 1 b) beschriebenen Modus zu wählen sind, um die Aufgaben und Verantwortlichkeiten von ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats wahrzunehmen, mit der Maßgabe, daß für den Fall, daß die Zahl der Staaten, welche die erforderliche Mehrheit erhalten haben, niedriger ist als die Zahl der für eine ständige Mitgliedschaft vorgesehenen Sitze, so lange weitere Wahlgänge für die noch nicht besetzte(n) Kategorie(n) durchgeführt werden, bis fünf Staaten die erforderliche Mehrheit zur Besetzung der fünf Sitze erhalten haben;

4. i n d e r E r w ä g u n g, daß eine überwiegende Anzahl von Mitgliedstaaten den Gebrauch des Vetorechts im Sicherheitsrat für anachronistisch und undemokratisch hält und seine Abschaffung gefordert hat, beschließt, a) zum Verzicht auf die Ausübung des Vetorechts zu errungen, indem den ursprünglichen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats eindringlich nahegelegt wird, die Ausübung ihre Vetorechts auf Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta zu beschränken; b) daß die neuen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats kein Vetorecht haben werden;

5. b e s c h l i e ß t, was die Haushaltsbeiträge für die Friedenssicherung betrifft, daß alle neuen und ursprünglichen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats denselben prozentualen Zuschlag über ihren Beitragssatz zum ordentlichen Haushalt hinaus bezahlen;

6. b e s c h l i e ß t, a) daß spätestens eine Woche nach der Benennung der zu neuen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats gewählten Staaten eine Resolution im Einklang mit Artikel 108 der Charta der Vereinten Nationen zur Abstimmung gestellt werden wird, mit der die Änderungen der Charta aufgrund der Beschlüsse in den Ziffern 1, 3 und 4 b) beschlossen werden; b) daß diese Resolution auch Änderungen des Artikels 27 Absätze 2 und 3 der Charta beinhalten wird, wonach Beschlüsse künftig der Zustimmumg von 15 der 24 Mitglieder des Sicherheitsrats bedürfen; c) daß die Resolution auch Änderungen des Artikels 53 der Charta beinhalten wird dahin gehend, daß die Bezugnahme auf ehemalige Feinde ihrer Unterzeichner gestrichen wird und Artikel 107 wegfällt;

7. k o m m t d a h i n g e h e n d ü b e r e i n, daß die in Ziffer 6 a), b) und c) genannten Änderungen der Charta in Kraft treten werden, sobald sie von den Mitgliedstaaten im Einklang mit Artikel 108 der Charta ratifiziert worden sind;

8. b e s c h l i e ß t, daß zehn Jahre nach dem Inkrafttreten der in dieser Resolution beschriebenen Änderungen eine Überprüfungskonferenz nach Artikel 109 der Charta der Vereinten Nationen einberufen werden wird, um die durch das Inkrafttreten dieser Änderungen geschaffene Situation zu überprüfen; 9. legt dem Sicherheitsrat eindringlich nahe, die folgenden Maßnahmen zu ergreifen, um die Transparenz zu erhöhen und die Unterstützung und das Verständnis seiner Beschlüsse durch alle Mitglieder der Organisation zu stärken: a) vollinhaltliche und wirksame Umsetzung der Erklärung seines Präsidenten vom 16. Dezember 1994, in der die häufigere Abhaltung öffentlicher Sitzungen insbesondere in der Anfangsphase der Behandlung eines Themas gefordert wird; b) Institutionalisierung regelmäßiger monatlicher Konsultationen zwischen dem Präsidenten der Generalversammlung und dem Präsidenten des Sicherheitsrats, zusammen mit den Vorsitzenden der Hauptausschüsse der Generalversammlung und den Mitgliedern des Sicherheitsrats; c) Abhaltung von Konsultationen zwischen dem Präsidenten des Sicherheitsrats und den jeweiligen Vorsitzenden der Regionalgruppen nach Bedarf; d) Abhaltung regelmäßiger, sachbezogener Informationssitzungen für alle Mitgliedstaaten durch den Präsidenten des Sicherheitsrats über informelle Konsultationen des Sicherheitsrats; e) Förderung von Konsultationen zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrats und den von einem Beschluß des Rates am stärksten betroffenen Ländern; f) Einladung von Staaten, die nicht Mitglied des Sicherheitsrats sind, zur Teilnahme an den informellen Konsultationen des Sicherheitsrats nach Artikel 31 und Artikel 32 der Charta; g) Einführung von Bestimmungen zur umgehenden Einberufung offizieller Sitzungen des Sicherheitsrats spätestens 48 Stunden nach Eingang eines entsprechenden Ersuchens eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen; h) Institutionalisierung eines Konsultationssystems während des Beschlußfassungsprozesses über die Aufstellung, die Abwicklung und die Beendigung von Friedenssicherungseinsätzen, mit dem Ziel, die in der Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 28. März 1996 enthaltenen Maßnahmen zu stärken; i) Institutionalisierung der Praxis, interessierten Staaten und Organisationen Gelegenheit zu geben, auf nichtöffentlichen Sitzungen der Sanktionsausschüsse ihre Auffassungen zu Fragen vorzubringen, die sich aufgrund der Anwendung der vom Sicherheitsrat verhängten Sanktionsregelungen ergeben; j) vollinhaltliche und wirksame Umsetzung der Bestimmungen über Sanktionen und Sanktionsausschüsse, wie von der Untergruppe zur Frage von Sanktionen der Vereinten Nationen der Informellen, allen Mitgliedstaaten offenstehenden Arbeitsgruppe der Generalversammlung zur Agenda für den Frieden empfohlen, k) Bereitstellung der Unterlagen der Sanktionsausschüsse an alle Mitgliedstaaten; l) praktische Umsetzung des Artikels 50 der Charta über das Recht von Mitgliedstaaten, den Sicherheitsrat zwecks Lösung von Problemen zu konsultieren, die sich aufgrund der Durchführung der vom Rat verhängten Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen ergeben; m) Abhaltung häufiger Orientierungsaussprachen, bevor der Rat in einer bestimmten Angelegenheit einen Beschluß faßt; n) Ermutigung zur stärkeren Inanspruchnahme der "Arria-Formel" zur Erleichterung von Konsultationen zwischen Ratsmitgliedern und Nichtmitgliedern; o) Klärung der Frage, was eine Verfahrensfrage im Sinne von Artikel 27 Absatz 2 der Charta ist; p) Einladung aller Mitgliedstaaten zur Teilnahme an den Beratungen der jeweiligen gemäß Artikel 29 der Charta eingesetzten Nebenorgane des Rates; q) verstärkte Inanspruchnahme des Internationalen Gerichtshofs durch Anforderung von Gutachten im Einklang mit Artikel 96 Absatz 1 der Charta; r) Abhaltung von Konsultationen auf geeigneter Ebene mit regionalen Organisationen, Einrichtungen und Abmachungen über Fragen, die die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit berühren,

im Einklang mit Kapitel VIII der Charta 10. l e g t dem Sicherheitsrat e i n d r i n g l i c h n ah e, seine Jahres- und Sonderberichte an die Generalversammlung unter Berücksichtigung der Resolution 51/193 der Generalversammlung vom 17. Dezember 1996 herauszugeben.

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