In jüngster Zeit ist sie bedenklich angeschwollen - die Klage über den Zustand unserer Republik. Und ein ums andere Mal kehrt man auf das große Ärgernis zurück: daß wir in einer blockierten Gesellschaft leben, deren Akteure nicht mehr imstande sind, existentielle Reformen durchzusetzen. Einig sind sich darin Politiker fast aller Couleur (wiewohl sie natürlich darüber streiten, wessen Partei "verantwortlich" sei). Zustimmen können dem vernichtenden Urteil die Wortführer der Industrie, deren Investitionsfreude durch resistente "Errungenschaften" gebremst wird. In den Chor fallen schreibende Zeitgenossen mit ein, jene, die das Ohr dicht am Ort des Geschehens haben und Tag für Tag mißratene Initiativen oder kassierte Pläne kommentieren müssen; aber auch solche mit Sitz im Elfenbeinturm, deren privilegierter Blick aufs Ganze und Wahre erkennen muß, daß davon wohl nichts Wirklichkeit wird. Durch die Klagen schimmert das Bild einer heilen Welt, in der Politik etwas Ernstes ist und Republik eben "res publica", eine öffentliche Angelegenheit, deren Schicksal alle Bürger angeht und von besonders befugten besorgt wird - an verbindlichen Zielen ausgerichtet, von energischem Willen getragen, als eine konzentrierte Veranstaltung.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.