Ausgabe September 1998

Virtuelle Apotheose einer Nation

Das Hauptmerkmal des Katastrophenfilms war, als das Genre in den 60er Jahren seine erste Blüte hatte, von Susan Sontag in einem Essay The imagination of disaster als "Ästhetik der Zerstörung" beschrieben worden. Armageddon (Regie: Michael Bay, Produktion Jerry Bruckheimer), der ultimative Angriff der Mehrkanal-Tontechnik auf die Hörnerven des Publikums, ist nicht mehr Ästhetik der Gewalt, sondern gewalttätige Ästhetik.

Der Plot, soweit er nicht in den Orgien der special effects verschwindet, ist simpel: Ein riesiger Meteor (oder eine Heer von Außerirdischen oder durch Genmanipulation degenerierter Rieseninsekten oder das GodzillaMonster, was auch immer) bedroht die Erde so ultimativ, daß - so der witzig-sarkastische Offizier - "Totalschaden" zu befürchten ist. Aber sie wird natürlich gerettet, die Erde, und mit ihr einige - im Zweifel erz-konservative - menschliche Werte und Tugenden, auch wenn man Opfer in Kauf nehmen muß, zum Beispiel, in einer fernen Kolonie, die Zerstörung einer Stadt namens Paris. Zu den Neuentwicklungen des Genres auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert gehört es, daß die Retter nicht zur traditionellen Elite der Gesellschaft gehören. Im Gegenteil, die Institutionen (Army, FBI, NASA) benehmen sich gelegentlich außerordentlich fies, sind aber lernfähig.

September 1998

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In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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