Ausgabe September 1998

Virtuelle Apotheose einer Nation

Das Hauptmerkmal des Katastrophenfilms war, als das Genre in den 60er Jahren seine erste Blüte hatte, von Susan Sontag in einem Essay The imagination of disaster als "Ästhetik der Zerstörung" beschrieben worden. Armageddon (Regie: Michael Bay, Produktion Jerry Bruckheimer), der ultimative Angriff der Mehrkanal-Tontechnik auf die Hörnerven des Publikums, ist nicht mehr Ästhetik der Gewalt, sondern gewalttätige Ästhetik.

Der Plot, soweit er nicht in den Orgien der special effects verschwindet, ist simpel: Ein riesiger Meteor (oder eine Heer von Außerirdischen oder durch Genmanipulation degenerierter Rieseninsekten oder das GodzillaMonster, was auch immer) bedroht die Erde so ultimativ, daß - so der witzig-sarkastische Offizier - "Totalschaden" zu befürchten ist. Aber sie wird natürlich gerettet, die Erde, und mit ihr einige - im Zweifel erz-konservative - menschliche Werte und Tugenden, auch wenn man Opfer in Kauf nehmen muß, zum Beispiel, in einer fernen Kolonie, die Zerstörung einer Stadt namens Paris. Zu den Neuentwicklungen des Genres auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert gehört es, daß die Retter nicht zur traditionellen Elite der Gesellschaft gehören. Im Gegenteil, die Institutionen (Army, FBI, NASA) benehmen sich gelegentlich außerordentlich fies, sind aber lernfähig.

September 1998

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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