Ausgabe Februar 1999

Amnestie und Hysterie

Vermutlich war Erich Mielke der einzige, dem die allermeisten ehemaligen DDR-Bürger eine Strafe gegönnt hätten, Siegerjustiz hin oder her. Nun hat der Rechtsstaat gesprochen: Haftentschädigung. Daß Mielke die Polizistenmorde von 1931 verbüßte, fand der Rechtsstaat richtig und vordringlich. Als Minister für Staatssicherheit aber siecht der Alte unbelangt dahin, mit eben jener Haftentschädigung, die viele kleine IMs fragen läßt, warum sie eigentlich ihren Job verloren haben. Aber im nächsten Augenblick durchsichtige Empörung, weil der ExSpion Rainer Rupp auf Bundestagskosten Zeitungen auswerten darf nach dem Willen Wolfgang Schäubles von 1990 wäre "Topas" nie in den Knast gekommen. Die strafrechtliche Bewältigung der DDR füllt kein Ruhmesblatt für die Lehrbücher künftiger Juristen; schon deshalb scheint die Forderung nach einer Amnestie oder einem Abschlußgesetz naheliegend, im zehnten Jahr der Wende. Die Fakten: Aus 21 776 Ermittlungsverfahren gingen 211 rechtskräftige Verurteilungen hervor, davon wiederum nur 21 zu Haftstrafen ohne Bewährung.

Eine kleine Handvoll Täter muß folglich ein Volk von 16 Millionen Opfern unterdrückt haben, quod erat demonstrandum. Die Zahlen lassen sich auch anders lesen.

Februar 1999

Sie haben etwa 17% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 83% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Patriotische Zivilgesellschaft: Das Vorfeld der AfD

von Sebastian Beer

Alice Weidel war genervt von der Geräuschkulisse während ihres Sommerinterviews Ende Juli in der ARD. Um das Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden zu stören, hatten sich Aktivist:innen des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit unweit des TV-Studios versammelt und Musik abgespielt.