Ausgabe April 2000

Repolitisierung jenseits der Parteien

Noch immer besteht, wenn nicht offen ausgesprochen, so doch unbewusst, die traditionelle Orientierung auf die Partei als zentrale Form politischer Intervention. Parteien wurde im Grundgesetz eine zentrale, ja, im Grunde die alleinige Rolle bei der Gestaltung der Demokratie zugewiesen. Daran wird es allerdings kaum gelegen haben, daß auch die K-Gruppen-Bewegung der 70er Jahre sich fast ausnahmslos an der Neuschaffung einer (kommunistischen) Partei versuchte. Und einige Jahre später, als die Ökologiebewegung nicht mehr weiterwusste, steckte sie ihre Energie in die Gründung einer Partei. Spätestens heute, gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der rot-grünen Bundesregierung, stellt sich mit neuer Deutlichkeit die Frage, ob die Konzentration auf Parteien nicht eine Sackgasse darstellt. Offenbar entwickeln alle Parteien einen unüberwindlichen Drang zur Mitte hin. Sie werden Volksparteien in dem Sinne, dass sie versuchen, für jedermann wählbar und mit jedem Mitbewerber koalitionsfähig zu sein. Auch Parteien, die sich ausdrücklich als sozialistisch bezeichnen, sind von einem Drang zur Mitte gekennzeichnet, selbst wenn sie dort nie vollständig ankommen.

Diese Tendenz macht die jeweilige konkrete Politik derjenigen der Konkurrenz sehr ähnlich - was an Divergierendem in den Programmen steht, verliert weitgehend seine Bedeutung.

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