Ausgabe März 2000

Wie ich lernte, die Börse zu lieben

Oder: Die Neuerschaffung der Welt im dritten Jahrtausend

Wenn Frau Martha Kunze in Schmachtenhagen wissen will, ob sie die Wäsche raushängen kann oder ob es heute wohl regnen wird, und die 8-Uhr-Nachrichten im Radio anstellt, so erfährt sie vor dem Wetterbericht erst einmal, wie in Tokio gerade der Nikkei-Index steht. Frau Kunze besitzt ebensowenig japanische Aktien wie wohl andere 99,8 Prozent der Hörer. Und diejenigen in Deutschland, die am Nikkei hängen, sind ohnehin auf Knopfdruck mit den Weltbörsen online. Das ist symbolische Information und pädagogische Nachrichtengebung. Die Leute erfahren nicht, was sie interessiert, sondern was sie interessieren sollte. Das waren einst in dunkleren Zeiten die stereotypen Phrasen oder Scheininformationen aus Führerhauptquartier und Politbüro. Heute in der lichtvollen Epoche der Globalisierung sind es die Indizes der Finanzmärkte. Denn jede Gesellschaft braucht Idole. Sie braucht Typen, mit denen man sich voller verstiegener Hoffnung identifiziert. Und der Leittypus dieser ultra-dynamischen durchamerikanisierten Epoche ist der Yuppie, und zwar derjenige Young Urban Professional, der sein schnelles Geld mit cleveren oder glückhaften Spekulationen macht oder als Dienstleister der Finanzbranche hochbezahlt das Geld der Kundschaft mehrt oder kunstreich in den Sand setzt. Selbstverständlich dient diese hochgezüchtete Spekulationsbegeisterung dem Gemeinwohl.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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