KI und der neue Raubbau am Globalen Süden
Bild: Ein junger Mann in einem der Bergwerke in Rubaya in der Demokratischen Republik Kongo. Hier werden Coltan und Mangan abgebaut. Handys, Computer, Tablets, und Batterien enthalten die kostbaren Materialien, April 2025 (IMAGO / News Licensing / Jack Hill)
Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne. Das Surren tausender Ventilatoren, das rhythmische Klicken sich drehender Festplatten, das leise Zischen von Druckluft. Und über allem das konstante, tiefe Brummen des Kühlsystems, der gigantischen Industrielüfter, die in der Ferne ihren unverzichtbaren Dienst verrichten. Tausende Serverschränke füllen den riesigen Raum, Schulter an Schulter stehen die elektrischen Ungetüme und bilden eine Schlucht aus Stahl und Glas. Nur gelegentlich hallen menschliche Geräusche durch die Reihen. Gedämpfte Gespräche zwischen zwei Technikern. Ein kurzes Quietschen ihrer Stiefel auf dem Boden. Das metallische Klappern eines Schraubenziehers, der gegen ein Festplattengehäuse stößt. Schnell werden diese Zeugnisse menschlicher Präsenz vom endlosen Brummen verschluckt. In diesen Kathedralen des digitalen Zeitalters geben die Maschinen den Ton an. Ihr elektrischer Chor – ein beständiges Gebet. Der Gott, dem sie dienen, heißt Fortschritt.
Rechenzentren sind die Orte, an denen „die Cloud“ zu Hause ist. Eine riesige Ansammlung von hochleistungsfähigen Computern, die das Rückgrat der Digitalisierung bilden. Längst beherbergen sie nicht mehr nur die Kommunikation von Milliarden Menschen, all die E-Mails, Chats und Fotos, auf die wir von überall zugreifen können. Beim Cloud-Computing geht es im Kern darum, dass Unternehmen und andere Anwender:innen schnell und flexibel Rechenkapazitäten und Speicherplatz nutzen können, ohne eigene Server betreiben zu müssen. Amazon, Microsoft, Google – drei Konzerne aus den USA beherrschen den Markt und teilen sich zwei Drittel des weltweiten Cloud-Geschäfts.
Vor allem im Wettrennen um die schnellste und klügste Künstliche Intelligenz sind Rechenzentren eine der wichtigsten Infrastrukturen. Nicht nur der Datenhunger der sogenannten Großen Sprachmodelle ist schier endlos, auch ihr Bedarf an Rechenkapazität kennt keine Grenzen. Mit jeder neuen KI-Generation werden auch die dafür benötigten neuronalen Netze immer größer, um mehr komplexe Inhalte abbilden zu können. Ohne die Cloud-Kapazitäten von Microsoft, Google und Amazon wäre der aktuelle KI-Hype schlicht nicht möglich. In Nordamerika, in Europa und in Teilen Asiens hat die jüngste Welle der Künstlichen Intelligenz deshalb einen regelrechten Bauboom für Rechenzentren ausgelöst. Eine Studie des Industrieverbandes Bitkom zeigt: Belief sich der globale Serverbestand 2015 noch auf 58,8 Mio. Stück, wird 2025 mutmaßlich die Marke von 100 Mio. überschritten werden. Insbesondere die USA und China treiben den Ausbau der Rechenzentrumskapazitäten voran. Allein Google will im laufenden Jahr 75 Mrd. US-Dollar in seine KI-Infrastruktur investieren. Marktführer Amazon hat sogar 100 Mrd. Dollar Investitionen in Rechenzentren angekündigt. Und OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, hat gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump die „Stargate Initiative“ angekündigt: Für 500 Mrd. Dollar sollen in den kommenden vier Jahren zehn riesige Rechenzentren in den USA gebaut werden. Auch räumlich haben die Projekte inzwischen gigantische Ausmaße. Meta etwa baut sein Rechenzentrum in der Stadt Altoona im Bundesstaat Iowa derzeit auf mehr als fünf Mio. Quadratmeter Fläche aus.
Schon zwischen 2010 und 2020 haben sich die Kapazitäten der Rechenzentren hierzulande ungefähr verdoppelt. Insgesamt kommen die deutschen Rechenzentren mit ihrem Bestand von 2,4 Mio. Servern demzufolge auf eine IT-Anschlussleistung von 2,7 Gigawatt. Bis 2030 rechnet der Industrieverband Bitkom mit einer weiteren Steigerung der Leistungskapazität um 75 Prozent auf 4,8 Gigawatt. Damit steigt auch der Bedarf an Energie. Lag der von Bitkom geschätzte Strombedarf der Rechenzentren im Land 2014 noch bei zwölf Terawattstunden, so betrug er 2024 bereits insgesamt 20 Terawattstunden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2024 verbrauchte die Metropole Berlin mit ihren 3,8 Millionen Einwohner:innen insgesamt 12,3 Terawattstunden.
KI und Rechenzentren: Der Energieverbrauch steigt und steigt
Der Bauboom bei Rechenzentren ist kein globales Phänomen. Zwar betrifft er in geringerem Ausmaß auch Lateinamerika und Afrika, wo sich das Investitionsvolumen durchaus erhöht hat, doch die meisten Rechenzentren (ent-)stehen in den Industrieländern. Nach Zahlen des Infrastrukturdienstleisters Enconnex aus 2024 befinden sich mehr als ein Drittel der weltweiten Rechenzentren in den USA, etwa 3000 von 8000. Erst Anfang 2024 eröffnete Google auch in Johannesburg ein Cloud-Datenzentrum, das erste des Unternehmens in Afrika überhaupt. Wenn es darum geht zu erfahren, wie viel Energie solche Rechenzentren verbrauchen, werden die Techkonzerne auffällig schmallippig. Klar ist: Trotz technischer Fortschritte steigt mit der Rechenleistung auch der Energieverbrauch. Rechenzentren bestehen aus einer gewaltigen Ansammlung von Hochleistungscomputern, die rund um die Uhr betrieben und gekühlt werden müssen. Um sicherzustellen, dass Daten nicht verloren gehen, speichern die Techkonzerne Daten doppelt und dreifach auf verschiedenen Servern. Bei Chatvideos gilt die Faustregel, dass sie siebenfach von über den Globus verteilten Cloudanbietern gespeichert werden.
Wegen der mangelnden Transparenz der Betreiber von Rechenzentren gibt es bis heute Probleme beim Monitoring ihres Energieverbrauchs. Die Internationale Energieagentur beziffert den weltweiten Stromverbrauch für Rechenzentren 2024 auf etwa 415 Terawattstunden. Zum Vergleich: Der jährliche Gesamtstromverbrauch von Frankreich, der siebtgrößten Volkswirtschaft der Erde, betrug 2024 etwa 449 Terawattstunden. Allein Metas Bedarf an Rechenkapazitäten für das Training und den Betrieb von KI-Modellen ist laut UNCTAD zuletzt jährlich um mehr als 100 Prozent gestiegen.
Rechenzentren verbrauchen allerdings nicht nur Unmengen von Strom, sondern auch riesige Mengen an Wasser für die Kühlung. So ist der Wasserverbrauch von Microsoft laut den Nachhaltigkeitsberichten des Unternehmens von knapp 4,8 Mrd. Litern im Jahr 2021 auf 5,8 Mrd. Liter im Jahr 2024 gestiegen, eine Steigerung um knapp 21 Prozent in drei Jahren. Noch gewaltiger ist der Wasserverbrauch von Google mit 30,8 Mrd. Litern im Jahr 2024. Drei Jahre zuvor verbrauchte Google 17,3 Mrd. Liter, eine Steigerung um 78 Prozent seit 2021. Externe Forscher:innen führen diesen starken Anstieg auf die datenintensive Forschung im Bereich der KI zurück. Nach Berechnungen der „Washington Post“ und der University of California verbraucht allein das Generieren von 100 Wörtern mit der aktuellen Version von ChatGPT durchschnittlich 519 Milliliter Wasser. Das entspricht einer mittelgroßen Wasserflasche für eine mittellange E-Mail oder eine kurze Konversation, die der Chatbot generiert.
Welche schwerwiegenden Folgen der Boom der Rechenzentren für den Klimawandel hat, zeigt das Beispiel Omaha im US-Bundesstaat Nebraska. Hier treibt Google die Entwicklung von Rechenzentren mit Investitionen in Höhe von 3,4 Mrd. US-Dollar voran. Der Stromversorger Omaha Public Power District (OPPD) verzeichnet deswegen den größten Anstieg der Stromnachfrage in seiner fast 80-jährigen Geschichte. Um den Bedarf zu decken, erhielt das Unternehmen 2022 die Genehmigung, die für 2023 geplante Schließung eines seiner Kohlekraftwerke bis 2026 zu verschieben. Bis zum Jahr 2033 will OPPD seine Energieerzeugung durch den Bau neuer Kraftwerke auf über fünf Gigawatt steigern und damit fast verdoppeln. Das entspricht der Stromlast von New York City an einem normalen Tag.
In Irland wurde der Bau neuer Rechenzentren für Amazon und Microsoft 2022 sogar gestoppt, da der staatliche Stromnetzbetreiber Eirgrid Stromengpässe befürchtete. Auch Singapur wusste sich 2019 nicht anders zu helfen, als ein Moratorium für den Bau neuer Rechenzentren zu verhängen. Diese sind für sieben Prozent des gesamten Stromverbrauchs im Stadtstaat verantwortlich. Inzwischen dürfen wieder Rechenzentren gebaut werden, aber nur unter strengen Auflagen bezüglich der Nutzung von Land, Wasser und Energie. Im Dorf Mekaguda im indischen Bundesstaat Telangana wiederum protestierten 2024 Anwohner:innen gegen den Bau eines riesigen Rechenzentrums durch Microsoft. Sie warfen dem Konzern vor, Industrieabfälle in einem nahe gelegenen See abgeladen zu haben.
Der Bau neuer Rechenzentren wird aufgrund der Anforderungen an die Strominfrastruktur weltweit zu einem umstrittenen Thema. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Rhetorik von Techkonzernen und die Politik in den Industrieländern. Denn die Akteure versprechen nicht nur rasante Fortschritte bei der Nachhaltigkeit von Rechenzentren, sondern verkaufen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz insgesamt als großen Motor für Umwelt- und Klimaschutz.
Das Versprechen von Nachhaltigkeit durch Digitalisierung
„Durch technische Innovation schaffen wir ein effizienteres Wirtschaften, das weniger Rohstoffe und Materialien verbraucht“, lautet die gängige These von Politik und Wirtschaft. Die EU beispielsweise erklärt, Europas Zukunft sei „digital und grün“. Bei der Vorstellung des Europäischen Grünen Deals im Jahr 2019 wurde der Digitalisierung eine zentrale Bedeutung für die ökologische Sanierung der europäischen Wirtschaft zugeschrieben: „Digitale Technologien sind entscheidende Voraussetzung für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele des Grünen Deals in vielen verschiedenen Sektoren.“
Umwelt- und Klimaschutz durch innovative Technik – Europa steht mit dieser Erwartungshaltung nicht allein da. Sowohl die OECD als auch multilaterale Organisationen wie die Weltbank und die Vereinten Nationen sehen Digitalisierung und Ökologie als ein symbiotisches Paar. Die Techkonzerne befeuern diese Erwartungshaltung mit großspurigen Nachhaltigkeitsversprechen. So preist etwa Microsoft seine Technologie als Hebel für den ökologischen Wandel an: „Egal, wo Sie sich auf Ihrem Weg zur Nachhaltigkeit befinden, die cloudbasierten Technologielösungen von Microsoft können Ihnen dabei helfen, voranzukommen.“ Bis 2030 will der Konzern nicht nur emissionsfrei sein, sondern sogar Carbon-negativ, also Emissionen abbauen, statt neue zu verursachen. Google unterdessen will bis 2030 „kohlenstofffrei“ sein und verspricht: „Wir wollen, dass jedes angesehene YouTube-Video, jede gesendete E-Mail, jeder auf Spotify angehörte Song zu jeder Jahreszeit nur erneuerbare Energie verbraucht.“ Dafür baut der Konzern unter anderem in Belgien einen Solarpark mit mehr als 10 000 Solarmodulen.
Doch auch die großen Investitionen in erneuerbare Energien werden auf absehbare Zeit nicht ausreichen, um den Strombedarf der Digitalbranche zu decken. Rechenzentren laufen Tag und Nacht, rund um die Uhr, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Eine umfassende Analyse der „MIT Technology Review“ kam kürzlich zu dem Schluss, dass der KI-Hype einen „Trend zu schmutzigeren und kohlenstoffintensiveren Energieformen“ verstärken wird, um den unmittelbaren Bedarf der Rechenzentren zu decken. So investieren die großen Techkonzerne derzeit nicht nur massiv in erneuerbare Energien, sondern auch in Gas, Kohle und Atomkraft. Umweltgruppen zufolge wird beispielsweise ein riesiges Rechenzentrum von Elon Musks Firma xAI mit verbotenen Methangasgeneratoren betrieben. Und um den Strombedarf von Microsofts Rechenzentren zu decken, soll sogar das stillgelegte Atomkraftwerk Three Mile Island in Pennsylvania wieder in Betrieb genommen werden. Amazon, Google und Meta wiederum haben sich im März 2025 dazu verpflichtet, die Energiegewinnung durch Atomkraft bis 2050 zu verdreifachen.
Die dreckige Realität der Digitalisierung
Nicht nur wegen der unzureichenden Versorgung mit erneuerbaren Energien stößt das große Versprechen der grünen Digitalisierung in der Klima- und Nachhaltigkeitsforschung auf große Skepsis. Schon 2019 warnte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen davor, dass die Digitalisierung heute eher ein „Brandbeschleuniger bestehender, nicht nachhaltiger Trends“ sei, als Klima und Umwelt zu retten. Auch Tilman Santarius, Geschäftsführer des Deutschen Klima-Konsortiums, zieht eine durchwachsene Bilanz: „In vielen Fällen dient die Digitalisierung lediglich der Verlängerung einer nicht nachhaltigen Wachstumsstrategie.“
In einer groß angelegten Metastudie kamen Santarius und zahlreiche Kolleg:innen 2022 zu dem Schluss, dass der digitale Wandel problematische Entwicklungen wie den Verbrauch von Rohstoffen und den Verlust biologischer Vielfalt verschärft. Ein wesentlicher Grund hierfür sei, dass „sich marktbeherrschende Akteure viele Innovationen angeeignet“ hätten, „um die Pfadabhängigkeit nicht nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen aufrechtzuerhalten“. Erschwerend komme hinzu, dass die problematischen Entwicklungen von der Politik bislang kaum gesehen oder korrigiert werden. Sie hätten zwar die Auswirkungen von Entwicklungen wie Big Data und Künstlicher Intelligenz auf Ökonomie und Demokratie erkannt, „bei den umweltpolitischen Aspekten hat die Politik hingegen einen blinden Fleck“.
Eines der größten Probleme ist der sogenannte Rebound-Effekt: Statt durch technischen Fortschritt erzielte Effizienzgewinne zu nutzen, um Energie zu sparen, werden sie zur permanenten Steigerung von Produktion, Konsum und Profiten genutzt. Die Gigantomanie der Rechenzentren spiegelt sich im Kleinen auf den privaten Geräten der Verbraucher:innen wider: Auch die Speicher- und Rechenkapazität von Computern und Telefonen wächst und wächst. Gleichzeitig hält der Trend zum Streaming von Musik und Filmen an, was deutlich mehr Energie verbraucht als das einmalige Herunterladen. Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass der Energieverbrauch durch Streaming besonders hoch ist, wenn Musik und Videos über das Mobilfunknetz statt über stationäre WLANs konsumiert werden: Selbst im modernsten 5G-Netz verbraucht eine Stunde YouTube-Schauen sechsmal mehr Energie als via Glasfaseranschluss. Hinzu kommt die allgegenwärtige Onlinewerbung. Sie ist nicht nur selbst Treiber des Konsums, sondern mit ihrer Datensammelwut auch ein großer Umweltsünder. Eine Analyse von mobilsicher.de aus dem Jahr 2024 zeigt beispielsweise auf, dass im Durchschnitt ein Drittel des Datenverkehrs, den Wetter- und Spiele-Apps erzeugen, nicht für ihre Kernfunktion, sondern für Werbung benötigt wird. Bei einzelnen Apps mache Werbung sogar 98 Prozent des erzeugten Traffics aus, berichtet Projektleiterin Miriam Ruhenstroth.
Mit dem Boom von Kryptowährungen ist darüber hinaus in den vergangenen Jahren ein äußerst energieintensives Finanzprodukt entstanden. Laut UNCTAD-Bericht zur digitalen Ökonomie ist allein der Energieverbrauch der bekanntesten Kryptowährung Bitcoin zwischen 2015 und 2023 um das 34-Fache angestiegen. Nach aktuellen Schätzungen des Bitcoin Electricity Consumption Index der Universität Cambridge beläuft sich der jährliche Stromverbrauch durch Bitcoin derzeit auf etwa 186 Terawattstunden. Zum Vergleich: Pakistan kommt mit seinen 247 Millionen Einwohner:innen auf einen Jahresverbrauch von 171 Terawattstunden, das Industrieland Polen auf 168 Terawattstunden.
Mit seinem unstillbaren Hunger nach Speicher- und Rechenkapazität erweist sich der Hype um Künstliche Intelligenz derzeit als noch größerer Klimasünder. Der Betrieb von Rechenzentren ist nur die eine Seite, hinzu kommen Faktoren wie die Herstellung der notwendigen Hochleistungschips. Bei den Anwendungen der generativen Künstlichen Intelligenz kommt zum Energieverbrauch für das Training der dahinterliegenden großen Sprach- oder Bildmodelle auch der Verbrauch für die Nutzung durch Millionen Menschen. Eine gemeinsame Studie der Carnegie Mellon University in den USA und des KI-Unternehmens Hugging Face kommt zu dem Schluss, dass die Generierung eines einzigen Bildes mit einem großen KI-Modell etwa so viel Energie verbraucht wie das Aufladen eines Smartphones. Die Studie untermauert zudem, dass derzeitige KI-Modelle deutlich mehr CO2 ausstoßen als solche, die noch vor zwei bis fünf Jahren aktuell waren. Weil Google, Microsoft und Co. ihre KI-Systeme inzwischen auch zur Unterstützung von Suchmaschinen oder bei der automatischen Vervollständigung von E-Mails einsetzen, erhöht sich auch der Energieverbrauch dieser einfachen Tätigkeiten.
Eine ungleiche Verteilung von Profiten und Kosten
Es lässt sich festhalten: Wer vom digitalen Fortschritt profitiert und wer dafür den Preis zahlen muss, ist global äußerst ungleich verteilt. Darauf verweist nicht zuletzt Rebeca Grynspan, die Generalsekretärin der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung. „Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt sind ein globales Problem, aber die Folgen sind nicht gleichmäßig verteilt“, schreibt Grynspan im Vorwort des 2024 veröffentlichten UNCTAD Berichts. „Die Entwicklungsländer, die oft reich an den für die digitalen Technologien benötigten Ressourcen sind, tragen eine unverhältnismäßig große Last der Kosten, während sie nur begrenzte Vorteile daraus ziehen.“
Als Beispiel für die Kosten nennt die Wirtschaftswissenschaftlerin aus Costa Rica den immer größer werdenden Berg von elektronischem Müll. So stieg beispielsweise die Menge der weggeworfenen Smartphones, Laptops, Bildschirme und anderer elektronischer Geräte zwischen 2010 und 2022 um 30 Prozent auf weltweit 10,5 Mio. Tonnen an. „In den Industrieländern fallen durchschnittlich 3,25 Kilogramm Elektroschrott pro Person an, während es in den Entwicklungsländern weniger als ein Kilogramm und in den am wenigsten entwickelten Ländern 0,21 kg sind.“ Die UNCTAD-Generalsekretärin lässt keinen Zweifel daran, dass das auch an den Konsum- und Verbrauchszyklen in reichen Industrieländern liegt. Die USA, die EU und China seien im Jahr 2022 die größten Verursacher von Elektroschrott gewesen. „Neue Modelle mit höherer Leistung verdrängen schnell bestehende Modelle oder machen sie überflüssig“, kritisiert Grynspan. Gerade geplante Obsoleszenz trage zum wachsenden Abfallproblem bei.
Eine vermeintliche Lösung für das Problem der wachsenden Elektroschrottberge sehen einige Geschäftsleute darin, den Müll einfach im Globalen Süden abzuladen. Das ist zwar meistens illegal, aber ein einträgliches Geschäft. So landen jährlich Millionen Tonnen Elektroschrott – alte Bildschirme, Computer, Fernseher und Kühlschränke – auf riesigen Müllhalden wie der Agbogbloshie am Rande von Ghanas Hauptstadt Accra. Arbeiter:innen versuchen hier – ohne Schutzausrüstung – wiederverwertbare Rohstoffe wie Aluminium und Kupfer aus dem Müll der Industriestaaten zu gewinnen, was oft über offenem Feuer und unter Entwicklung hochgiftiger Gase passiert. Greenpeace prägte hierfür bereits in den 1990er Jahren den Ausdruck „Toxic Colonialism“. Knapp 13 Millionen Frauen und 18 Millionen Kinder arbeiteten nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2021 auf Elektroschrottmüllhalden im Globalen Süden. Arbeiter:innen, die Gold und Kupfer aus alten Geräten recyceln wollen, seien bis zu 1000 giftigen Substanzen ausgesetzt, sagt die WHO.
Unterdessen erreicht die globale Erwärmung jedes Jahr neue traurige Rekorde. 2023 lag die durchschnittliche Erdtemperatur erstmals bei 1,5 Grad über der vorindustriellen Zeit. Damit wurde bereits vor zwei Jahren die Temperaturmarke erreicht, die nach dem Pariser Klimaabkommen von 2015 möglichst nicht überschritten werden soll. Mit Blick auf die zunehmenden Klimafolgeschäden der letzten Jahre und Jahrzehnte (schmelzende Gletscher, ansteigende Meeresspiegel, Überschwemmungen, Hitzewellen, Stürme und Dürren) handelt es sich dabei um eine äußerst beunruhigende Entwicklung, insbesondere für die Menschen im Globalen Süden. Die Erderwärmung ist zwar ein globales Phänomen, die Gefahr, Opfer von Wetterextremen und schleichenden Veränderungen zu werden, ist auf dem Globus jedoch ungleich verteilt. In den Worten des Weltklimarates: „Zunehmende extreme Wetter- und Klimaereignisse haben Millionen von Menschen einer akuten Ernährungsunsicherheit und einer verringerten Wassersicherheit ausgesetzt, wobei die größten Auswirkungen an Orten in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie auf kleinen Inseln beobachtet wurden.“
Zum riesigen Energie- und Wasserbedarf der Digitalisierung und dem Problem des Elektroschrotts gesellt sich der gewaltige Rohstoffhunger. Während Erdöl als der wichtigste Rohstoff des Industriezeitalters bis heute eine unverzichtbare Rolle spielt, laufen ihm die Metalle im Zuge der Digitalisierung inzwischen den Rang ab. Die Liste ihrer Einsatzgebiete ist lang. Touchscreens etwa benötigen Indium, Silizium und Zinn. Kupfer bildet die Basis für nahezu alle elektrischen und elektronischen Technologien, beispielsweise für RFID-Tags[1], die ein wichtiger Bestandteil der Industrie 4.0 sind. Gold wird unter anderem für qualitativ hochwertige Steckverbindungen, Relais, Leiterplatten oder Bonddrähte auf Platinen und Mikrochips benötigt – insgesamt bezieht die Technologiebranche etwa sieben Prozent der weltweiten Goldproduktion. Zinn ist fester Bestandteil in den Platinen von Laptops, Robotern und anderen Geräten der Industrie 4.0. In Mikrochips stecken Palladium und Platin; Hochleistungschips, die für neueste KI-Anwendungen und Raumfahrttechnik gebraucht werden, benötigen zudem Bauxit, Aluminium, Germanium und Gallium.
Der Rohstoffhunger der EU
All diese Metalle sind innerhalb der EU gar nicht oder kaum zu finden. Der Critical Raw Materials Act der Europäischen Union definiert Metalle wie Nickel, Lithium, Kobalt, Wolfram, Gallium, Kupfer, Germanium und Seltene Erden deshalb nicht nur als kritische, sondern sogar als strategische Rohstoffe. Ein besonderes Augenmerk liegt seit einigen Jahren auf den Rohstoffen, die für die Herstellung wiederaufladbarer Lithium-Ionen-Akkus benötigt werden. In der Batterie findet das Versprechen vom Gleichschritt des grünen und digitalen Wandels seine materielle Manifestation. Sie hat seit ihrer Erfindung vor mehr als 200 Jahren eine unglaubliche Entwicklung genommen, vom wackeligen elektrochemischen Experiment hin zu seriell produzierten, leistungsfähigen und wiederaufladbaren Akkus. Der grüne Fortschritt verdankt einen erheblichen Teil seiner Dynamik der Batterie. Elektrofahrzeuge, die über Städte und Autobahnen gleiten, tun dies lautlos und ohne Emissionen, dank leistungsfähiger Lithium-Ionen-Batterien. In der digitalen Welt sind Batterien der unsichtbare Motor, der die Infrastruktur am Laufen hält. Sie ermöglichen eine mobile Gesellschaft, in der Kommunikation und Information jederzeit und überall zugänglich sind. Das kleine Gerät in unserer Tasche, das uns verbindet, informiert und unterhält, verdankt seine Existenz der beständigen Leistung einer Batterie.
Jedes Jahr werden die Märkte der Industrieländer mit neuen smarten Produkten geflutet. 14 Mio. E-Autos, 241 Mio. PCs und mehr als 1,4 Mrd. Smartphones und Tablets verkauften die Hersteller allein im Jahr 2023. Fast alle enthielten Lithium-Ionen-Akkus. Zu den wichtigsten Rohstoffen für die wiederaufladbaren Batterien gehören Kobalt, Lithium und Nickel. Forscher:innen arbeiten zwar an Batterien, die ohne sie auskommen, doch heute sind sie in den meisten digitalen Geräten und E-Autos verbaut. Die Nachfrage nach den hierfür essenziellen Metallen ist deshalb in den vergangenen Jahren rasant gestiegen.
Die EU ist in hohem Maße vom Import der Metallerze abhängig, da Europas Anteil an den Weltreserven im Promillebereich liegt. Der Kontinent ist damit ein Nettoimporteur dieser essenziell wichtigen Rohstoffe und ein Nettoexporteur von umweltlichen, sozialen und ökonomischen Folgekosten, die bei der Gewinnung und Verarbeitung dieser Metalle entstehen.
Kobaltabbau: Die Kosten des Ressourcenhungers
Einer dieser für die digitale Welt unerlässlichen Rohstoffe ist ein unscheinbares, silbrig-graues Metall: Kobalt. Gewonnen wird es meist als Nebenprodukt der industriellen Förderung von Kupfer und Nickel. Aufgrund seiner enormen thermischen Stabilität ist Kobalt ein unverzichtbarer Bestandteil vieler wiederaufladbarer Lithium-Ionen-Akkus. Ohne Kobalt müssten die meisten Laptops, Smartphones und E-Autos heute deutlich häufiger aufgeladen werden. Auch für zahlreiche Superlegierungen, einen wichtigen Baustein der Energie- sowie Luft- und Raumfahrttechnik, ist Kobalt essenziell. Der Bedarf nach dem Metall steigt dadurch von Jahr zu Jahr stark an. Mit 210 000 Tonnen lag die weltweite Förderung 2023 mehr als 20 Prozent über dem Vorjahr, Tendenz: weiter steigend. Nach Schätzungen des Kobalt-Instituts wird sich die Förderung bis 2030 voraussichtlich etwa verdoppeln, auf dann insgesamt 400 000 Tonnen.
Kaum ein Land auf der Welt ist so reich an Bodenschätzen wie die Demokratische Republik Kongo (DRK). Hier finden sich Gold und Diamanten genauso wie Coltan, Kupfer, Radium und Uran. Auch mit Kobalt ist die Region reich gesegnet, kein anderes Land verfügt über so große Vorkommen des Erzes. Insbesondere im sogenannten Kupfer-Kobalt-Gürtel im Südosten des zentralafrikanischen Landes befinden sich mehr als 50 Prozent der weltweit bekannten Kobaltvorkommen. Derzeit stammen fast drei Viertel der globalen Förderung aus der DRK. Doch der natürliche Reichtum hat dem Land und seinen Menschen keinen Wohlstand gebracht.
Der größte Kobaltlieferant ist heute eines der ärmsten Länder der Welt. Nach Angaben der Weltbank leben in der DRK 62 Millionen Menschen, fast drei Viertel der Bevölkerung, unterhalb der Armutsgrenze, also von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag. Auf dem Human Development Index der UN steht der Kongo auf Platz 180 von 193. Seit Jahrzehnten wird der Osten des Landes von schweren Kämpfen erschüttert, allein seit Mitte der 1990er Jahre sollen mehr als sechs Millionen Menschen durch Kämpfe, Vertreibung und Hunger umgekommen sein. Schätzungen zufolge sind in der DRK zwischen 500 000 und zwei Millionen Menschen direkt vom Bergbausektor abhängig. Seit langem ist bekannt, dass dabei auch Kinderarbeit an der Tagesordnung ist. Aktuelle Zahlen dazu gibt es nicht, doch Beobachter:innen vor Ort gehen von mehreren tausend Kindern aus, die im Bergbausektor tätig sind.
Daran stören sich allerdings weder die ausländischen Bergbauunternehmen noch die Abnehmer in den Tech- und Autokonzernen in China, Europa und Nordamerika. Während sie dank des Rohstoffs satte Gewinne machen, sind die sozialökologischen Kosten für Mensch und Natur im Kongo dramatisch: Neben Kinderarbeit und ökonomischer Ausbeutung kritisieren Nichtregierungsorganisationen auch tödliche Arbeitsbedingungen, enorme Gesundheitsrisiken, Umweltverschmutzung und Landraub.
Von der rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Schätze des Kongo profitieren vor allem ausländische Konzerne. Bis zu 80 000 Dollar kostete eine Tonne Kobalt in den vergangenen Jahren, im Juni 2025 stand der Preis bei knapp 33 000 US-Dollar. Kaum etwas von dem Gewinn bleibt im Land. Von den 19 industriellen Kupfer-Kobaltminen in der DRK wird keine einzige von kongolesischen Unternehmen betrieben, diese sind höchstens als Minderheitseigner beteiligt. Zwei der größten Minen gehören mehrheitlich dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, zwei weitere der kasachischen Eurasian Resources Group, 15 Minen gehören vorwiegend chinesischen Unternehmen. Auch nordamerikanische Bergbauunternehmen wie das kanadische Ivanhoe sind an dem Geschäft beteiligt. Gewinnbringend weiterverarbeitet wird das Kobalt fast ausschließlich im Ausland. Vor allem in China, wo 2023 rund 65 Prozent der Weiterverarbeitung stattfanden, doch auch in Finnland (zehn Prozent) und in der ehemaligen Kolonialmacht Belgien (fünf Prozent).
Fraglich ist, ob es im Rahmen des kolonial geprägten Systems des globalen Kapitalismus überhaupt Lösungen gibt. Solange weder Endabnehmer wie Techkonzerne noch Händler oder Bergbauunternehmen für Schäden zur Verantwortung gezogen werden, bleibt es für sie das günstigste Geschäft, die Menschen vor Ort mit den sozial-ökologischen Kosten des Kobaltabbaus alleinzulassen. Ein Ende der Jagd nach mineralischen Rohstoffen jedenfalls ist nicht in Sicht, weil weder Digitalisierung noch Energiewende ohne sie auskommen. Immerhin: Seit kurzem setzt sich eine vom Handyhersteller Fairphone ins Leben gerufene „Fair Cobalt Alliance“ für bessere Bedingungen beim Abbau des Konfliktminerals ein. Ihre Hoffnungen setzt die Allianz auf den genossenschaftlichen Kleinbergbau, der im Kongo zu einem Motor für faire Rohstoffwirtschaft und wirtschaftliches Wachstum werden soll. Hierfür bräuchte es allerdings die Beteiligung großer Konzerne und verstärkte politische Anstrengungen.
Die EU setzt mit ihrem Critical Raw Materials Act derweil weiter auf Business as Usual und einen neokolonialen Rohstoffkurs nach dem Motto „Europe First“. Dabei ist die Zeit des unbegrenzten Zugangs zu günstigen Rohstoffen des Globalen Südens vorbei. Gerade jetzt, da nicht nur die USA und die ehemaligen Kolonialmächte aus Europa immenses Interesse an den Bodenschätzen haben, sondern auch konkurrierende Global Player wie China, Russland und neuerdings auch Indien als Alternative für die rohstoffreichen Staaten bereitstehen, müsste die EU gleichberechtigte Partnerschaften schließen, wenn sie im geoökonomischen Wettrennen um Ressourcen nicht abfallen will. Doch Partnerschaften auf Augenhöhe haben ihren Preis. Das berechtigte Streben der Abbauländer nach Souveränität und wirtschaftlicher Teilhabe drückt die Marge für Konzerne, Investitionen in faire und umweltverträgliche Fördermethoden müssen finanziert werden. Nur wenn beides gelingt, kann die Digitalisierung zum echten Motor für Veränderungen werden – nicht nur für den grünen Wandel Europas, sondern auch für die Entwicklung des Globalen Südens.
[1] RFID ist die Abkürzung für „Radio Frequency Identification“, also „Identifizierung mit elektro-magnetischen Wellen“. RFID-Tags sind eine Art digitale Etiketten, deren Informationen sich drahtlos auslesen lässt, und die so die Verfolgung von Objekten ermöglichen.