Ausgabe Oktober 2000

Der globale Patriotismus

Abends soll es noch voll sein. Nachmittags, als der Rezensent pflichtschuldig im Kino saß, verloren sich knapp zehn Besucher im größten Kino am Ort. Es ist ein groteskes Erlebnis des Alleinund Ausgesetztseins, der Wehrlosigkeit gegenüber dem massiven Trommelfeuer des Soundtracks: Vorne, wo die Leinwand ist, hat jeder Flintenschuß die akustische Durchschlagskraft einer Megabombe, an den Seitenwänden erschüttert Kanonendonner Mauern und Fußboden, hinten bellen ein paar Hunde, und das Ganze wird übertönt durch die Fortissimo-Klänge eines Riesenorchesters, in dem die Blechbläser das Schreien haben. Kino scheint heutzutage eine Sache der Baßboxentechnik zu sein. Schon bei den Trailern für zukünftige in diesem Saal zu erwartende Katastrophen erwies sich ein eintöniges überlautes Wummern als beherrschende, offenbar für jeden Film gleichermaßen unverzichtbare Beeindruckungstechnik. Die Bilder auf der Leinwand versuchen, im Konkurrenzkampf um den schrillsten Effekt mit blitzartigen Einblendungen bluthaltiger Details zu punkten: Wunden wie kleine Springbrunnen, ein vom Rumpf getrennter Kopf oder Arm, durch die Luft fliegende Leichen.

Die beschriebenen technischen Stilmittel sind, jedenfalls in bezug auf den Film Der Patriot von Roland Emmerich, ganz und ausschließlich auf die Kriegsszenen hin konzipiert.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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