Nachdem die ersten Kommentare den neuen EU-Vertrag analysiert und die beschlossenen Reformen insgesamt als zu leicht befunden haben, ist es an der Zeit, die Gründe für das magere Gipfelergebnis zu beleuchten und den Blick auf die mittel- und längerfristigen Perspektiven des europäischen Integrationsprojekts zu richten. Denn trotz dramatisierender Rhetorik, die den Erfolg des als "historisch" und "schicksalhaft" bezeichneten Gipfels erzwingen sollte, markierte Nizza keinen End- oder Wendepunkt in der europäischen Integration; die Ergebnisse stellen vielmehr einige weitere Elemente in der langen Kette an gemeinsamen Beschlüssen dar, die eines Tages zur Vollendung des europäischen Einigungswerkes führen sollten. Bei der Bewältigung der so genannten Amsterdamer Leftovers, dem Hauptthema in Nizza, wurde von fast allen Mitgliedstaaten mit harten Bandagen gekämpft. Dies zeigte sich bei der nur sehr zögerlichen, die wichtigsten Politikfelder aussparenden Ausweitung des qualifizierten Mehrheitsentscheids ebenso wie bei der Stimmneuwägung im Rat. Auch bei den Beschlüssen über die künftige Kommissionsgröße wurden vor allem von den kleinen Mitgliedstaaten gnadenlos die nationalen Interessen in den Vordergrund gestellt und damit ein "Nizza-Leftover" produziert: Zwar gilt ab dem 1.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.