Ausgabe Juni 2002

Tragödienstadl

Das Fernsehspiel war einmal eine Gattung, mit der die Pioniere im Nachkriegs-Deutschland (West und Ost) das neue Medium vor seinem Schicksal zu bewahren suchten, zur Glotze, zum "Null-Medium" (Enzensberger) zu werden. In fiktionalen, aber realistischen Spielformen griff es aktuelle Themen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf, um zugleich mit der Unterhaltung Problembewusstsein zu vermitteln. Das Fernsehen schien auf Grund seiner Rezeptionsform solche Ansprüche zu begünstigen: Der Apparat ist ein Möbelstück im Zentrum des Alltagslebens und zugleich jenes "Fenster zur Welt", das auch den Blick auf die Probleme der Menschen und der Menschheit lenken sollte. Solche gemäß der Funktionsbestimmung des öffentlich-rechtlichen Systems bildende Wirkungen versprach man sich sogar von den Serien und legte sie pädagogisch an.

Erst das Hereinschwappen von US-amerikanischen Soaps wie Dallas oder Denver machten das deutsche Publikum mit jener spielerisch-zynischen Ent-Moralisierung vertraut, die uns einen Bösewicht wie J.R. als attraktivste Figur in einem Ensemble von gutwilligen Schwächlingen und stets nur jammernden Weibern erscheinen ließen. Das wurde in Deutschland Be Er De prompt nachgemacht, aber die andere Tradition in Form von Linden- und anderen Straßen überlebt gleichfalls.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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