Zum Konflikt von Marktintegration, Wohlfahrtsstaatlichkeit und Subsidiarität
Die europäische Integration war von Anfang an eine primär ökonomische Angelegenheit. Bis 1992 sprach man von Wirtschaftsgemeinschaft. Das große Ziel bestand in der Herstellung des Binnenmarktes. Als nächstes folgte die Währungsunion, die seit Januar buchstäblich greifbar wird. Demgegenüber spielt die Sozialpolitik seit jeher eine geringere Rolle. Zwar fanden schon früh auch sozialpolitische Aspekte Eingang in die Europäischen Verträge, allen voran die Vorschriften zur Gleichstellung von Mann und Frau. Aber das waren Einzelfälle. Im großen und ganzen glaubte man, die Sozialpolitik sei auf der Ebene der Mitgliedstaaten besser aufgehoben. Eine ökonomisch integrierte Gemeinschaft souveräner Wohlfahrtsstaaten - das war das Leitbild. Daß diese Rechnung auf Dauer nicht aufgehen konnte, brachte Ende der 90er Jahre Stephan Leibfried mit dem Begriff der "halbsouveränen Wohlfahrtsstaaten" 1) auf den Punkt.
Dabei liegt der Souveränitätsverlust nicht im Rechtlichen, sondern im Faktischen. Nicht ihre rechtlichen Kompetenzen haben die Mitgliedstaaten eingebüßt, sondern ihre tatsächliche Handlungsfähigkeit. Denn unter den Bedingungen grenzüberschreitender ökonomischer Integration wird Sozialpolitik zum Standortnachteil. Heute kennt man dieses Argument aus den allgegenwärtigen Globalisierungsdebatten.