Ausgabe März 2003

Offener Brief an acht europäische Staats- und Regierungschefs

Ihre Unterstützungserklärung zur Regierungspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber dem Irak wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Solidarität mit unserer Regierung ist etwas anderes als Solidarität mit unserem Volk. In jedem Ihrer Länder lehnt eine Mehrheit die US-Politik gegenüber dem Irak ab. Die Meinungsumfragen in den Vereinigten Staaten zeigen eine tief gespaltene Nation. Bestürzung, Zweifel und Ablehnung gegenüber einem Irakkrieg wachsen rasch. Sicherlich haben Ihre Botschafter Ihnen berichtet, dass in unseren Kirchen, Gemeinden, Schulen und Universitäten, im Kongress und in der Presse ein politischer Sturm aufzieht.

Unter diesen Umständen hat Ihr Ruf nach „Einheit“ mit den Vereinigten Staaten einen seltsam ritualisierten Klang. Echte Einheit könnte aus einem vernünftigen Konsens innerhalb unserer Staaten sowie zwischen uns und dem Großteil der übrigen Welt erwachsen. Aber ebendies hat unser Präsident nicht erreicht. Unsere Staaten haben, wie Sie sagen, gemeinsame demokratische Werte. Aber der britische Premierminister erlaubt es dem Unterhaus nicht, über einen Irakkrieg abzustimmen, sein spanischer Kollege hat nur unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit eine Parlamentsdebatte zugelassen.

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Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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Weitere Artikel zum Thema Naher und Mittlerer Osten

Gaza und die Ära der Straflosigkeit

von Seyla Benhabib

Künftige Historikerinnen und Historiker, die auf den Israel-Gaza-Konflikt zurückblicken, werden möglicherweise erkennen, dass dieser Konflikt an der Schnittstelle dreier Entwicklungen steht, die gemeinsam das Koordinatensystem der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten internationalen Institutionen völlig verschoben und eine neue Ära eingeläutet haben.

Israel in der dekolonialen Matrix

von Eva Illouz

Manchmal kommt es auf der Weltbühne zu Ereignissen, die unmittelbar einen grundlegenden Bruch markieren. Der 7. Oktober 2023 war ein solches Ereignis. Die Hamas verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem sie fast 1200 Israelis ermordete.

Eine mörderische Sackgasse

von Wolfgang Kraushaar

Wer seit dem 7. Oktober 2023 von Deutschland aus die Nachrichten zum Nahen Osten fortlaufend verfolgt, der steht vor einem quälenden Problem. Die Tag für Tag eintreffenden Informationen, Bilder und Videosequenzen sind so unerträglich geworden, dass man nahezu unausweichlich in eine moralische Zwangslage zu geraten droht.

Krieg gegen Gaza: Israels innere Spaltung

von Ignaz Szlacheta

„Schalom, auf Wiedersehen Gaza, wir trennen uns. Ich werde am Strand sitzen und die Uniform vergessen.“ Diese Zeilen sang Yishai Levi während eines Auftritts in einer bekannten israelischen Politiksendung im Jahr 1993.