Ausgabe März 2004

Ein Jahr Agenda 2010

Mythos Eigenverantwortung

In den Grundsätzen der Regierung und aller Parteien (noch fehlt die PDS) avancierte die Parole von der "Eigenverantwortung" zum Schlüsselwort. Sie zu stärken steht im Mittelpunkt jeder Neuordnung der Arbeitsverhältnisse und der sozialen Sicherungssysteme. In welchem Maß aber kann, das ist die alles entscheidende Frage, eine einzelne Person tatsächlich für ihre wirtschaftliche Lage verantwortlich sein? Die Antwort hängt in erster Linie davon ab, ob das Individuum tatsächlich frei in seiner konkreten Entscheidung ist, vor allem aber davon, welche Reichweite die individuelle Handlung objektiv hat. "Eigenverantwortung" hat demnach eine philosophische Dimension. Diese aber kommt umso weniger zur Sprache, je mehr dieser Begriff mit geradezu religiösem Eifer gebraucht wird.

Grundsätzlich wäre es Sache der Wirtschaftstheorie, über die Grenzen dieser Freiheit Auskunft zu geben, also darüber, was eine individuelle und freie Handlung denn tatsächlich ausrichten kann, über welchen Wirkungsbereich sie verfügt. Zu einer unumstrittenen Antwort auf die Frage nach der Reichweite eigener Verantwortung ließe sich kommen, wenn es nur eine einzige, eine richtige Wirtschaftstheorie gäbe, wenn also der Zweck von Theorie darin bestünde, die Sachen und Verhältnisse zutreffend zu erklären.

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