Zwangsheiraten, arrangierte Ehen und „Ehrenmorde“ zeigen, wie wenig manche Migranten in der pluralistischen Moderne angekommen und in die deutsche Gesellschaft integriert sind. Doch anders als Baden-Württembergs „Muslim-Test“ für die Einbürgerungswilligen aus den 57 Staaten der Islamischen Konferenz suggeriert,1 betrifft dieses Problem auch Russlanddeutsche und die meisten in agrarischen, konservativen Kulturen vor allem des östlichen Mittelmeerraums Sozialisierten, deren Verhältnis zur Moderne und ihrem Verständnis von Ehe, Familie, (Homo-)Sexualität und Gleichberechtigung der Frau zumindest gebrochen ist. Allerdings handelt es sich bei Ersteren zumeist um Aussiedler und damit um Menschen deutscher Volkszugehörigkeit bzw. ihre Ehepartner oder Nachfahren (Art. 116 Abs. 1 GG); eine Überprüfung ihrer Einstellung zur deutschen Verfassung ist daher nicht zulässig. Sind es Unionsbürger im Sinne von Art. 17 Abs. 1 EGV, erübrigt sich ein Test, da die Einbürgerung wegen der umfangreichen Rechte aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht unnötig ist. Bei den Privilegierten, Aussiedlern und Unionsbürgern kann deshalb nur auf die tatsächliche Integration, die Einordnung in die Gesellschaft gehofft werden.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.