Ein Jahresrückblick der anderen Art
2005 war ein gutes Jahr – jedenfalls mit Blick auf das deutsche Sprach- Verhältnis zu Osteuropa. „Deutsch ist die allgemeine Slawensprache“, soll Lenin einmal gesagt haben. Tatsächlich war Deutsch das zwar nie, aber durch die guten Deutschkenntnisse der Osteuropäer – 31 Prozent der Tschechen, Slowaken, Ungarn etc. sprechen Deutsch – ist unsere Muttersprache inzwischen auf den zweiten Platz in der Europäischen Union gerückt.1
Das vergangene Jahr bot vor allem drei Ereignisse, die im deutsch-osteuropäischen Verhältnis von Belang waren – und die diese Sprach-Tradition hörbar belegten. Es begann Mitte April mit der Wahl des Deutschen Joseph Ratzinger zum neuen Papst Benedict XVI., die der Osten begeistert aufnahm. Dass Ratzinger v detstve sostojal v Gitlerjugende (als Kind in der Hitlerjugend war), nahmen die Russen schlicht als unvermeidlich hin (regnum.ru 20.4. 2005). Die allgemeine štimung (serb.kr.) für den liberální sympat’ák in Rom drückte ein Prager Kulturblatt aus, als es (in fast fehlerfreiem Deutsch) leitartikelte: Alles Gute, liebe Benedikt! (Rx 22.4.2005).
Der Mai stand dann ganz im Zeichen der 60. Wiederkehr des Kriegsendes, was nicht ohne partielle Wiederbelebung von obsoletem Wortgut abging – mal in deutscher Orthographie, mal in phonetischer Transkription verwendet: Abwehr (poln., tschech.), abver (russ., serb.kr.), blickrig (russ.), chajl’ Gitler (russ.), einsatzgruppe (poln.), Die fahne hoch (tschech.