Die Gewerkschaften standen zwar nicht direkt an der Wiege des Kapitalismus, aber sie begleiteten schon früh seinen Aufstieg. Nach mehr als 200 Jahren historischer Erfahrung mit dem industriellen Kapitalismus drängt sich heute jedoch eine Frage auf, die lange Zeit als obsolet gelten konnte: Ist der Kapitalismus auch ohne Gewerkschaften vorstellbar? Eigentlich war diese Frage durch empirische Evidenz längst verneint worden. Gewerkschaften schienen ebenso selbstverständlich dem Kapitalismus zugehörig wie die abhängige Arbeit. Der auf freien Arbeitsmärkten basierende industrielle Kapitalismus generierte, so die historisch gesicherte Annahme, nahezu zwangsläufig Gewerkschaften als Schutz- und Verteidigungsorganisationen der Lohnarbeiter.
In der Tat hatten die sozialen Probleme im Gefolge von Liberalisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung der Arbeit in allen industriekapitalistischen Ländern gewerkschaftliche Organisationsbildungen zur Folge. Selbst Koalitionsverbote, Sozialistengesetze und mannigfache staatliche Repression konnten die Entstehung gewerkschaftlicher Organisationen nicht unterbinden. Der frühindustriellen Leidensgeschichte folgte, mit zeitweiligen Rückschlägen, eine beispiellose Erfolgsgeschichte: Seit der Industriellen Revolution konnten die Gewerkschaften ihre Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sukzessive ausbauen. Wird nun das 21.