Der Niedriglohnsektor als Boombranche
Kein innenpolitisches Thema, das haben die letzten Wochen und Monate bewiesen, ist derzeit so umstritten – und damit auch so wahlkampftauglich – wie der Mindestlohn. Und trotz der Mangelhaftigkeit des erreichten Minimalkompromisses hat der bisherige politische Schlagabtausch immerhin zweierlei gezeigt: Zum einen, dass der staatlich subventionierte Niedriglohnsektor vom bundesdeutschen Arbeitsmarkt nicht mehr wegzudenken ist, und zum anderen, dass seine Auswüchse umfassend politisch reguliert werden müssen, wenn die zunehmenden Spaltungen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich beseitigt werden sollen.
Seit Mitte der 90er Jahre wächst der Niedriglohnsektor beständig. Ein Wachstumsmotor der besonderen Art war dabei die Hartz-Gesetzgebung durch die rot-grüne Bundesregierung – als wesentlicher Bestandteil des groß angelegten Versuchs, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse getreu dem Motto „Sozial ist, was Arbeit schafft“ machte den Anfang und spiegelte den längst vollzogenen Stimmungswandel hin zu neoklassischen Positionen wider. Die Einführung und Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse als arbeitsmarktpolitisches Instrument setzte dann, wenn auch in kodifizierter Form, den anhaltenden Trend zum Ausbau des Niedriglohnsektors fort.