Ausgabe Juni 2007

Gesetzloses Wunder

Vom Sinn der Gnade

Dass in der gereizten Debatte um den Fall Christian Klar auch alte Rechnungen beglichen wurden, ist offensichtlich. Aus der „bleiernen Zeit“, dem „deutschen Herbst“, wirken politische Leidenschaften und persönliche Erfahrungen nach, die schwer auf den Begriff zu bringen sind. Die Historisierung der Vereinigung mit dem sonderbaren Namen Rote Armee Fraktion hat erst begonnen. Immerhin lässt sich genau sagen, worauf die Gnadensache Klar zurückgeht. Am 12. Dezember 2001 strahlte der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg ein Fernsehinterview aus, das Günter Gaus mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Klar in der Haftanstalt geführt hatte: Der Gefangene, beladen mit der toten Zeit von damals achtzehn Jahren, sprach stockend und inhaltsarm, wirkte unkonzentriert und fahrig; und Gaus, weiß Gott ein erfahrener Journalist, hatte zusehends Mühe, das Gespräch in Gang zu halten. Später legte er seinem Interviewpartner ein Gnadengesuch nahe. Ein solches ging denn auch beim damaligen Bundespräsidenten Rau ein – und wurde nun von dessen Nachfolger Horst Köhler abgelehnt. Natürlich haben Sie und ich dazu eine Meinung, und zwar eine ganz entschiedene. Doch nicht um die soll es hier gehen, sondern um den Sinn der Gnade. Das Nachdenken darüber ist in den Scharmützeln der Tagespolitik ein bisschen zu kurz gekommen.

Nach altem magischem Rechtsdenken galt die Strafe nicht in erster Linie dem Täter, sondern der Wiederherstellung der gottgewollten Ordnung.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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Frieden durch Recht

von Cinzia Sciuto

Am Anfang stand der 11. September 2001. Danach wurde die Lawine losgetreten: Ein langsamer, aber unaufhaltsamer Erdrutsch erfasste die internationale rechtliche und politische Ordnung. Ein Erdrutsch, der nach und nach die supranationalen Institutionen und die stets fragile, aber nie völlig illusorische Utopie einer friedlichen und auf dem Recht basierenden Weltordnung tief erschüttert hat