China und Indien auf der Suche nach einer »alternativen Moderne«
Indien und China, die beiden Milliarden-Menschen-Mächte, wurden Ende der 1940er Jahre zu souveränen Staaten. Gleichzeitig verschrieben sie sich der Vision einer sozialistischen Modernisierung und behielten einander dabei stets neugierig und wachsam im Auge. In den letzten Jahren haben sich die beiden Staaten zunehmend auf eine triumphale Geschichtsdarstellung eingelassen – wonach die westlich-kapitalistische Moderne außerwestlichen Völkern den richtigen Weg zu Fortschritt und Entwicklung gewiesen habe. Doch für viele Inder und Chinesen war ihre nationale Erfahrung und Identität vor allem vom Kampf für die Befreiung von der militärischen und wirtschaftlichen Beherrschung durch den Westen geprägt.
Besonders eng war die Beziehung beider Länder im ersten Jahrzehnt ihrer Unabhängigkeit, als sie versuchten, dem amerikanischen Druck im Hinblick auf einen Eintritt in den Kalten Krieg zu widerstehen und für die jungen postkolonialen Nationen eine neutrale Außenpolitik zu formulieren. Auf dem historischen Gipfeltreffen neuer asiatischer und afrikanischer Staaten im April 1955 in Bandung schienen Mao, der chinesische Premierminister Zhou Enlai und der erste indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru ganz natürliche Bundesgenossen zu sein bei der gleichermaßen schweren Aufgabe, Hunderte Millionen von Menschen aus Elend und Armut herauszuführen.