Marokko gilt vielen deutschen Politikern als Fels in der Brandung in einer unberechenbaren Region. Bundesinnenminister Horst Seehofer wird nicht müde, von einem „sicheren Herkunftsstaat“ zu sprechen. Und Gesundheitsminister Jens Spahn begründete diese Einschätzung vor einigen Monaten lapidar damit, Europäer machten schließlich dort Urlaub.[1] Es passt ins Bild, dass ein so attraktives Reiseziel wie Marokko sich nun wiederholt für die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft bewirbt, diesmal für 2026.
Doch dieses Bild zeigt allenfalls die halbe Wahrheit: Im vergangenen Jahr kam es in Marokko zu den größten sozialen Protesten seit dem sogenannten Arabischen Frühling. Und die Welle der Proteste ebbt auch 2018 nicht ab, trotz massiver Repression, die sich in der Verhaftung hunderter Demonstranten und der Einschüchterung kritischer Journalisten und Juristen zeigt. Die Brennpunkte der Proteste liegen in der vernachlässigten ländlichen Peripherie, insbesondere der nördlich gelegenen Rif-Region. Doch inzwischen erfährt die Bewegung auch Unterstützung aus den urbanen Zentren, und sogar in der marokkanischen Diaspora in Europa formiert sich eine transnationale Solidaritätsbewegung.