Wie das US-Wahlsystem die Tyrannei der Minderheit ermöglicht

Bild: Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Marietta, Georgia, 15.10.2024 (Robin Rayne / IMAGO / ZUMA Press Wire)
Alle Umfragen deuten darauf hin, dass bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für Kamala Harris stimmen wird. Trotzdem könnte Donald Trump die Wahl gewinnen. Denn das Wahlsystem der USA ermöglicht einen solchen Sieg. Damit laufen die Vereinigten Staaten Gefahr, erneut eine Minderheitsregierung zu erhalten. Aber mehr noch: Ein Sieg Donald Trumps könnte den Weg zu einer dauerhaften Minderheitsherrschaft bahnen, in der eine Partei, die weniger Wählerstimmen als ihre Konkurrenten gewonnen hat, dennoch die Kontrolle über entscheidende Hebel der politischen Macht erhält.
All das ist keine ganz neue Entwicklung. Denn zum US-System haben stets auch Institutionen gehört, die Minderheiten auf Kosten von Mehrheiten bevorzugen. Aber erst im 21. Jahrhundert hat dieser „Gegenmajoritarismus“ ein Parteigesicht bekommen, das heißt, er verleiht in der nationalen Politik nun regelmäßig einer Partei einen Vorteil vor einer anderen. Die Gründerväter hatten nicht die Absicht, ein System der Minderheitsherrschaft zu schaffen; sie sahen nicht einmal die Entstehung von Parteien voraus. Sie stellten sich eine Welt vor, in der örtliche Eliten ohne Parteibindung als verantwortungsvolle Staatsmänner für das öffentliche Beste arbeiten.