Die nachholende Modernisierung der Wähler und die Strategien der Parteien
Wählen ist etwas für clevere Leute geworden. Früher wählte man eine Partei. Oft "wählte" man diese noch nicht einmal, sondern wiederholte die Stimmabgabe für "seine" Partei von Wahl zu Wahl. Das entsprach dem Ideal des Stammwählers zu den Zeiten, als auch die Geschäfte noch ihre Stammkunden hatten. Wechselwähler galten als Treibsand, auf den sich weder Reaktion noch Reform aufbauen ließ. Inzwischen haben die Wähler zu wählen begonnen. Sie wählen zum Beispiel eine Koalition statt einer Partei; sind mit der SPD identifiziert, wählen Bündnisgrüne, um Rot-Grün zu erreichen. Oder sie wählen zwei Parteien; CDU mit der Erst-, FDP mit der Zweitstimme. Auch eine Wahlentscheidung ist es, zu Hause zu bleiben und damit gegen "seine" Partei zu wählen. Oder man geht nicht hin, weil man diesmal gegen alle Parteien ist.
Reflexives Wählen heißt, die Situation, das Angebot und die zu erwartenden Folgen beim Ausdruck der eigenen Präferenz zu berücksichtigen. Das bedeutet auch, daß das Ergebnis der Abwägungsprozesse nicht jedesmal gleich sein kann. Mindestens die Gesichtspunkte der Abwägung wechseln, damit wird das Ergebnis jeweils offen. Die Wahl wird erst so zu einem komplexen Entscheidungsvorgang, bei dem die Kontexte auf die Neigungen rückbezogen werden.