Ausgabe April 1997

Modell Bundesrepublik

Nationalgeschichte, Demokratie und Internationalisierung in Deutschland

„Wer sich der Vergangenheit nicht erinnern kann, ist verdammt, sie zu wiederholen." Dieser berühmte Aphorismus von George Santayana erfaßt einen wichtigen Punkt im Verhältnis zwischen Lernen aus der Geschichte und politischem Handeln. Er ist jedoch anfechtbar. Obgleich weniger prägnant und daher wohl keinem von uns heute mehr geläufig, hätte er anders formuliert werden können - etwa folgendermaßen: „Wer sich mit der Geschichte befaßt, kann aus ihr lernen und ist somit vermutlich weniger anfällig, deren dunkle Kapitel zu wiederholen." Wie ich die „Blätter" verstehe, orientiert die Zeitschrift sich an dieser nicht-aphoristischen Variante des Gedankens.

Ich teile diese Auffassung, und ich möchte diese Gelegenheit zum Anlaß nehmen, bestimmte Facetten des Lernens aus der Geschichte und der Demokratie in der Bundesrepublik zu erörtern. Auf diese Art läßt sich zeigen, daß der Erfolg des einen mit dem des anderen zusammenhängt.
Wie lernt man aus der Geschichte? Wie lernt eine Nation aus der Geschichte? Was immer ansonsten notwendig sein mag - es muß eine zuverlässig dokumentierte und zutreffend interpretierte Geschichte geben. Vor allem bezogen auf die Nationalgeschichte setzt das voraus, daß Geschichtsschreibung bestimmten Versuchungen widersteht, besser noch: ihnen entgegenwirkt.

April 1997

Sie haben etwa 53% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 47% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Demokratie

Politik vor Recht: Die Aushöhlung der liberalen Demokratie

von Miguel de la Riva

Als der FPÖ-Chefideologe und heutige Parteivorsitzende Herbert Kickl im Januar 2019 in einem ORF-Interview darauf angesprochen wurde, dass seine Asylpläne an die Grenzen von EU-Recht, Menschenrechtskonvention und Rechtsstaat stoßen, antwortete der damalige österreichische Innenminister, „dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht“.

Ernst, aber nicht hoffnungslos

von Thorben Albrecht, Christian Krell

Spätestens seit Ralf Dahrendorfs berühmt gewordener These vom „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ gehören SPD-Niedergangsprognosen zu den Klassikern der parteibezogenen Publizistik. Die Partei hat diese Prognose bisher um 42 Jahre überlebt. Aber das konstituiert keine Ewigkeitsgarantie.