Ausgabe Oktober 2000

Der globale Patriotismus

Abends soll es noch voll sein. Nachmittags, als der Rezensent pflichtschuldig im Kino saß, verloren sich knapp zehn Besucher im größten Kino am Ort. Es ist ein groteskes Erlebnis des Alleinund Ausgesetztseins, der Wehrlosigkeit gegenüber dem massiven Trommelfeuer des Soundtracks: Vorne, wo die Leinwand ist, hat jeder Flintenschuß die akustische Durchschlagskraft einer Megabombe, an den Seitenwänden erschüttert Kanonendonner Mauern und Fußboden, hinten bellen ein paar Hunde, und das Ganze wird übertönt durch die Fortissimo-Klänge eines Riesenorchesters, in dem die Blechbläser das Schreien haben. Kino scheint heutzutage eine Sache der Baßboxentechnik zu sein. Schon bei den Trailern für zukünftige in diesem Saal zu erwartende Katastrophen erwies sich ein eintöniges überlautes Wummern als beherrschende, offenbar für jeden Film gleichermaßen unverzichtbare Beeindruckungstechnik. Die Bilder auf der Leinwand versuchen, im Konkurrenzkampf um den schrillsten Effekt mit blitzartigen Einblendungen bluthaltiger Details zu punkten: Wunden wie kleine Springbrunnen, ein vom Rumpf getrennter Kopf oder Arm, durch die Luft fliegende Leichen.

Die beschriebenen technischen Stilmittel sind, jedenfalls in bezug auf den Film Der Patriot von Roland Emmerich, ganz und ausschließlich auf die Kriegsszenen hin konzipiert.

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.