Ausgabe Januar 2005

Geteiltes Grenzland?

Im Spätherbst 2004 entdeckte die Welt das "Grenzland" Ukraine. 1 Um die Entdeckung dieses entlegenen Erdwinkels leichter verarbeiten zu können, griffen Medien und außenpolitische Kommentatoren zu einem Muster, das seit dem Ende des Kalten Krieges geläufig ist: Diesmal ging es also um Ostukrainer gegen Westukrainer, so ähnlich wie Serben gegen Kroaten oder Christen gegen Muslime. Mit dieser Schablone ließ sich der Aufruhr auf den ukrainischen Straßen erklären. Der Präsidentschaftskandidat der Macht, Viktor Janukowitsch, versuchte denn auch tatsächlich, die übermächtige Opposition in Kiew mit einer drohenden Spaltung des Landes zu erpressen. Er behauptete, die russischsprachigen Menschen im Osten zu repräsentieren, die von den Westukrainern überrannt zu werden drohten.

In Deutschland glaubten die politischen Akteure ihm gern, denn es beschwichtigte ihre nur kaum verhohlene Sorge, eine geeinte Ukraine hinter einem Präsidenten Juschtschenko werde umgehend beantragen, der NATO und dann der Europäischen Union beizutreten. Für diesen Ernstfall hat jedoch in Deutschland keine Partei ein Konzept in der Schublade. Bereits die bisherige EU-Erweiterung nach Osten droht die politische Integrationsfähigkeit der Union zu überfordern. Die Frage eines EU-Beitritts der Türkei ist derzeit Zwickmühle genug - man hofft in Deutschland und Westeuropa, damit werde die Ausweitung der Union auf absehbare Zeit beendet sein.

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