Der erste Jahrestag der Gezi-Proteste setzte ein Zeichen für die nächste Zukunft: Selbst für Beobachter, die mehrere Militärputsche in der Türkei erlebt haben, war die Polizeipräsenz in Istanbul an diesem Sonnabend, dem 31. Mai, erschreckend. Nicht nur der Taksim-Platz war weiträumig abgesperrt, sondern auch in der geschäftigen Fußgängerzone im Herzen der Stadt standen an jeder Ecke Zivilpolizisten und beobachteten die Passanten. Ihre langen Schlagstöcke und Munitionsgürtel ragten aus ihren Rucksäcken heraus oder waren in großen Taschen am Wegesrand bereitgestellt. Sie sollten im Laufe des Tages reichlich zum Einsatz kommen.
Insgesamt 25 000 Polizisten hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan aufgefahren. Mit Gasmasken und Gewehren ausgestattete, uniformierte Einheiten standen in Besiktas, Sisli und Kadiköy bereit – den zentralen Stadtteilen mit säkularer Bevölkerung und hoher Protestbereitschaft. Doch anders als noch vor einem Jahr sahen sich diesmal größtenteils junge Männer anderen jungen Männern gegenüber. Die Frauen, die bei den Gezi-Protesten über die Hälfte der Teilnehmer ausgemacht hatten, blieben diesmal der Straße weitgehend fern, schlicht deshalb, weil sie ihnen zu gefährlich wurde.