
Bild: Plenarsaal im Bundestag, 8.2.2022 (IMAGO / Shotshop)
Fast 75 Jahre galt das bundesdeutsche Wahlrecht nahezu unverändert. Selbst den Epochenbruch der deutschen Wiedervereinigung von 1989/90 überlebte es ohne größere Korrektur. Und das aus gutem Grund: Verfahrensfragen sind Machtfragen. Und das Wahlrecht ist in einer Demokratie die sensibelste Materie, sorgt es doch – im besten Fall – für die gebotene Chancengleichheit in der politischen Auseinandersetzung.
Umso mehr bedeutet die am 17. März mit den Stimmen der Ampelkoalition beschlossene Reform einen fundamentalen Bruch mit den bisherigen Prinzipien – mit dramatischen Konsequenzen nicht zuletzt für mögliche linke Alternativen. Faktisch wird man nicht von einer Wahlrechtsreform, sondern eher von einer Wahlrechtsdeformation sprechen müssen, welche die Tektonik des deutschen Parteiensystems fundamental verändern könnte.
Dabei bestand zweifellos Handlungsbedarf, wurde doch von Staatsrechtlern seit langem eine Verkleinerung des aufgeblähten Bundestages angemahnt. Grundsätzlich gewährt die Verfassung dem Gesetzgeber beim Wahlrecht einen weiten Reformspielraum. So wäre auch eine Umstellung auf ein reines Mehrheitswahlrecht durchaus zulässig. Die Ampelkoalition hat dergleichen aber nicht vorgenommen, sondern das geltende personalisierte Verhältniswahlrecht massiv verändert. Dieses zeichnet sich vor allem durch das angestrebte Gleichgewicht von direkt, qua Erststimme, und über die Liste, qua Zweitstimme, gewählten Abgeordneten aus.