Unter den vielen Vorschlägen, welche die mit guten Gründen nur zögernd anlaufende Verfassungsdebatte bisher an den Tag brachte, ragt die Forderung nach einer Umformulierung der Präambel des Grundgesetzes vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung hervor. Sie sollte daher isoliert, in völliger Unabhängigkeit von Debatten über wohlfeile, nicht einklagbare Staatszielbestimmungen oder Neugliederungsvorschläge erfolgen. Sie sollte zudem in dem Bewußtsein geführt werden, daß sie auch dann fällig wäre, wenn die Teilung Deutschlands noch immer andauerte.
Es steht indessen zu befürchten, daß manche gutwillige politische Gruppierung sich einer entsprechenden Forderung der "Auschwitz Fondation" (Brüssel) in dem Bewußtsein anschließt, hier einen Gesamtentwurf zu präsentieren, der mit dem Gedenken an Auschwitz beginnt, sodann Volksentscheide aufnimmt, die Abtreibung frei gibt, die Umwelt berücksichtigt, die Bund-Länder-Verhältnisse neu gestaltet und endlich ein Recht auf Arbeit festschreibt. Daß die Debatte um das Gedenken in der Verfassung so nicht geführt werden soll, ist nicht nur eine moralische Forderung. Gleichwohl: Wenn "Auschwitz" nicht mehr als eine Duftmarke der Sensibilität bzw. einen semantischen Eisbrecher in der Verfassungsdebatte darstellt, wäre es besser, im Schweigen zu verharren.