Ausgabe Dezember 1996

Amerikas Mitte

Im Stimmengewirr deutscher Berichte über die US-Präsidentschaftswahlen ließ sich vor allem in linksliberalen Publikationen ein Motiv deutlich heraushören: Die Amerikaner, wie könnte man auch anderes von ihnen erwarten, hätten einmal mehr bewiesen, daß sie mit ihrem Konservatismus und ihren Rechtstendenzen nicht allzu weit vom Autoritarismus entfernt sind. Die Berichterstattung triefte vor Wunschdenken und einer Selbstprojektion, bei der wesentliche analytische Aspekte verlorengingen, die zentral sind für das Verständnis sowohl der Wahlresultate als auch des amerikanischen politischen Systems, um dessen ernsthafte Erläuterung sich jene deutschen Berichte nicht sonderlich kümmerten. Statt dessen jetteten die Journalisten, bestätigt in den Vorurteilen, mit denen sie aus Frankfurt oder Berlin angereist waren, jetzt mit dem großartigen Gefühl nach Hause zurück, daß die Welt komplett mit der vorgefaßten eigenen Meinung übereinstimmt.

Unbestreitbar ist, daß es häßliche Dinge in der gegenwärtigen amerikanischen Politik gibt. Man muß nur einen Blick auf den Fremdenhaß werfen, der in Staaten wie Kalifornien oder Florida grassiert (interessanterweise nicht in New York oder Texas) und der in Referenden mündet, die sich nicht nur gegen sogenannte illegale Einwanderer, sondern auch gegen diejenigen richtet, die völlig legal zugewandert sind.

Dezember 1996

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Januar 2026

In der Januar-Ausgabe skizziert der Journalist David Brooks, wie die so dringend nötige Massenbewegung gegen den Trumpismus entstehen könnte. Der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies erörtert, ob die Demokratie in den USA in ihrem 250. Jubiläumsjahr noch gesichert ist – und wie sie in Deutschland geschützt werden kann. Der Politikwissenschaftler Sven Altenburger beleuchtet die aktuelle Debatte um die Wehrpflicht – und deren bürgerlich-demokratische Grundlagen. Der Sinologe Lucas Brang analysiert Pekings neue Friedensdiplomatie und erörtert, welche Antwort Europa darauf finden sollte. Die Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres erläutern, warum die Abhängigkeit von Öl und Gas Europas Sicherheit gefährdet und wie wir ihr entkommen. Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski erklärt, wie wir im Umgang mit Künstlicher Intelligenz unsere Fähigkeit zum kritischen Denken bewahren können. Und die Soziologin Judith Kohlenberger plädiert für eine »Politik der Empathie« – als ein Schlüssel zur Bekämpfung autoritärer, illiberaler Tendenzen in unserer Gesellschaft.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Fortschrittsfalle KI

von Roberto Simanowski

Unbemerkt von den meisten, verschiebt sich die Macht vom Menschen zur Maschine. Erste Studien bezeugen: Der Mensch wird dümmer durch KI. Je mehr er sie als Hilfsmittel nutzt, umso geringer seine kognitive Aktivität und schließlich seine Fähigkeit zum kritischen Denken.

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?