Gerhard Schröder trifft Martin Walser. Die Themen: "Über ein Geschichtsgefühl" (Martin Walser) zu "Nation. Patriotismus. Demokratische Kultur" (Gerhard Schröder). Das Datum: der 8. Mai. Ort: Willy-Brandt-Haus. Welch ein Paukenschlag! Was nur hat die SPD geritten, sich ausgerechnet am Tag der Kapitulation mit dem Provokateur der Paulskirche, dem Verfechter deutscher Innerlichkeit, dem Romantiker vom Bodensee zu schmücken? Aber, diese Veranstaltung war nicht ohne Vorlauf. Sie steht im Kontext einer kulturpolitischen Offensive der Sozialdemokraten. Schon seit geraumer Zeit hat eine neue Leitkultur Einzug gehalten in die Berliner Republik: die Kultur des Vorlesens. Gemeint sind jedoch nicht jene berlintypischen Vorlesebühnen mit so skurrilen Namen wie "Allee der Kosmonauten" oder "Reformbühne Heim und Welt". Ebenso wenig geht es um die ehrwürdigen literarischen Salons von Britta Gansebohm bis Nicolaus Sombart. Hier ist vom Vorlesen als Staatssache die Rede. Der Kanzler lässt lesen. Und das nicht zu knapp. Am liebsten in der Sky-Lobby des neuen Kanzleramts. Zuerst machten ihm Günter Grass und Christa Wolf die Aufwartung; es folgten die 68er Peter Schneider und Hans Christoph Buch.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.