Die deutsche Sprache verfügt über eine Eigenschaft, die sie mit nur wenigen anderen Sprachen teilt: Sie kann zusammengesetzte Substantive bilden. Dadurch ist sie in der Lage, jederzeit und nach Bedarf neue Wörter zu erzeugen. Häufig gelingen treffsichere Bezeichnungen, die sich sofort durchsetzen, selbstverständlich werden, ihren Benutzern als immer schon vorhanden Gewesene gelten. Manchmal entstehen Wendungen, die man wegen ihrer vielgliedrigen Schwerfälligkeit belächelt oder ob ihrer Geschmacklosigkeit ablehnt, und die nach kurzer Zeit spurlos verschwinden. Anderen Fügungen wiederum ist ein langes und aufregendes Schicksal bereitet. Zunächst schwimmen sie unauffällig im Redestrom der Zeit, unversehens erlangen sie Prominenz, verblassen wieder, tauchen ab, um mit erneuertem Inhalt wieder hochzukommen, erstarren zum geläufigen, von jedermann anders interpretierten Zitat, beschäftigen den wissenschaftsgeschichtlichen Seziertisch der Historiker, um endlich, untot, zu neuen Verwendungen aufzubrechen.
Eine solche außergewöhnliche Schöpfung begehrte im Jahre 1959 Einlass in das Arsenal der politischen Sprache der Bundesrepublik. Sie lautete „Verfassungspatriotismus“ und stammte von Dolf Sternberger, dem viel zitierten, 1989 gestorbenen Publizisten und Politikwissenschaftler.