Nun steht also auch höchstrichterlich fest, dass Europa „auf den Trümmern der Demokratie“ errichtet ist. 1 Der deutsche Gesetzgeber, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 30. Juni, hat sich mit den Umsetzungsgesetzen zum Lissabon-Vertrag in zu weitem Maße selbst entmündigt und sich keine hinreichenden Beteiligungsrechte im europäischen Rechtsetzungsprozess bewahrt. 2
Das BVerfG versteht sich in seiner Entscheidung als Hüter nicht nur der Verfassung, sondern auch der demokratischen Beteiligungsrechte in Europa und postuliert, dass auch nach Lissabon „der Bundestag als Repräsentationsorgan des Deutschen Volkes im Mittelpunkt eines verflochtenen demokratischen Systems“ stehen muss.
Im Bundestag selbst wurde diese Entscheidung Anfang Juli von allen Fraktionen begrüßt – und das, obschon der Bundestag nicht nur das beanstandete Begleitgesetz beschlossen, sondern auch im Verfahren vor dem BVerfG stets betont hatte, dass die Klagen der Linkspartei, des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, des früheren Europaabgeordneten Franz Ludwig Graf von Stauffenberg und anderer unbegründet seien. Dass das Gericht den Bundestag gegen seinen eigenen Widerstand in die demokratische Pflicht nehmen muss, provoziert die Frage, ob das deutsche Legislativorgan überhaupt strukturell fähig, willens und in der Lage ist, der Herkulesaufgabe der Demokratisierung polyzentrischer europäischer Governance gerecht zu werden.