Ausgabe April 1998

Migration - Mythen und Halbwahrheiten

These 1: Die Einwanderung in die westlichen Industrieländer ist außer Kontrolle geraten.

Falsch. Das einzige, was im Zusammenhang mit der Einwanderung in die Industrieländer wirklich "außer Kontrolle" geraten ist, ist die Panik, die dieses Thema auszulösen scheint. Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte dazu, daß die Einwanderung für Europa zu einem regelrechten Angstthema wurde. Obwohl die Russen nie kamen, sorgte die Massenflucht aus Jugoslawien in die unmittelbaren Nachbarländer, aus Albanien nach Italien und aus Halb und Kuba in die Vereinigten Staaten für eindringliche Fernsehbilder. Unterbeschäftigte Strategen stießen auf offene Ohren, wenn sie bedrohliche Szenarien entwarfen, die solche Ereignisse nicht als Ausnahmen, sondern als Vorboten, als die ersten Felsbrocken einer losgetretenen Lawine darstellten. Allzu vertraute Stimmen (derer, die darauf erpicht sind, das Thema für Wahlzwecke auszuschlachten) stimmten schnell in den Chor von der internationalen Migration als Sicherheitsbedrohung ein. Politiker wie Jean Marie Le Pen in Frankreich, Patrick Buchanan in den Vereinigten Staaten, Umberto Bossi in Italien und Jörg Haider in Österreich wetterten gegen die einfallenden Barbaren, setzten immer weiter auf eine Politik der Spaltung und Intoleranz, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen.

April 1998

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