Als Henning Scherf am 22. September vor den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts trat, unternahm er einen charmanten Versuch, die Herzen der Richter zu rühren. Er faltete die Hände vor der Brust und appellierte inständig an die sechs anwesenden Richter, "seinem" Bremen zu helfen. Dann schoss der Bürgermeister doch noch ein paar Giftpfeile ab gegen jene, die in Karlsruhe eine Reduzierung ihres Beitrags zum Länderfinanzausgleich erreichen und damit Bremen schaden wollen. Angesichts der Klage Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens stelle sich die Frage, ob hier durch Aushungern eine Länderneugliederung erzwungen werden solle. Der SPD-Mann bissig: "Außer Napoleon und Hitler hat uns noch keiner die Selbständigkeit bestritten." Bremen, der kleinste der Stadtstaaten, ist im Grunde ein Kuriosum des Föderalismus. Mit rund 700 000 Einwohnern steht es Riesen wie Nordrhein-Westfalen (18 Mio.) und Bayern (mehr als 12 Mio.) gegenüber - und hat doch immerhin halb so viel Stimmen im Bundesrat wie die großen Länder, nämlich drei. Jene, die an Stelle des kooperativen lieber einen kompetitiven Föderalismus sähen, fokussieren denn auch ihre Kritik auf die alte Hansestadt oder wahlweise auf das Saarland: dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen, zu klein, um selbst bestehen zu können.
In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist.