"Die Zeit ist reif für mehr Demokratie", stellte die Reformwerkstatt der "Zeit" bereits im April 1998 fest und überschrieb ein ganzes Dossier "Jetzt werden wir direkt". Seit dem Spendenskandal ist der Enthusiasmus fürs Plebiszit kaum noch zu bremsen. Plötzlich sehen alle in der unmittelbaren Demokratie die Rettung: die, die zuvor nie an sie glaubten (CDU); die, die schon immer mit ihr flirteten (Grüne); die, die stets für was Neues zu haben sind (Journalisten). Als journalistischer Universalist mag ich mich, in politischer Philosophie zwar einigermassen zu Hause, in den Spezialistenstreit der politischen Theoretiker und Pragmatiker nicht einmischen. Ich will ganz konkret reden: über Schweizer Verhältnisse. Genauer: über Risiken und Nebenwirkungen der helvetisch direkten Demokratie. Im Besonderen: über die allerneuesten Versuche, die Volksherrschaft zu radikalisieren. Ein aktuelles Beispiel zum Einstieg: Am 12. September 1999 gab es in der Schweiz eine Premiere. Die Stimmberechtigten der Gemeinde Emmen (ein Vorort von Luzern) waren zur Urne gerufen, um über Einbürgerungsgesuche abzustimmen. Zuvor hatten sie die Initiative "Einbürgerungen vors Volk!" gutgeheissen.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.