Ausgabe Juni 2002

Tragödienstadl

Das Fernsehspiel war einmal eine Gattung, mit der die Pioniere im Nachkriegs-Deutschland (West und Ost) das neue Medium vor seinem Schicksal zu bewahren suchten, zur Glotze, zum "Null-Medium" (Enzensberger) zu werden. In fiktionalen, aber realistischen Spielformen griff es aktuelle Themen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf, um zugleich mit der Unterhaltung Problembewusstsein zu vermitteln. Das Fernsehen schien auf Grund seiner Rezeptionsform solche Ansprüche zu begünstigen: Der Apparat ist ein Möbelstück im Zentrum des Alltagslebens und zugleich jenes "Fenster zur Welt", das auch den Blick auf die Probleme der Menschen und der Menschheit lenken sollte. Solche gemäß der Funktionsbestimmung des öffentlich-rechtlichen Systems bildende Wirkungen versprach man sich sogar von den Serien und legte sie pädagogisch an.

Erst das Hereinschwappen von US-amerikanischen Soaps wie Dallas oder Denver machten das deutsche Publikum mit jener spielerisch-zynischen Ent-Moralisierung vertraut, die uns einen Bösewicht wie J.R. als attraktivste Figur in einem Ensemble von gutwilligen Schwächlingen und stets nur jammernden Weibern erscheinen ließen. Das wurde in Deutschland Be Er De prompt nachgemacht, aber die andere Tradition in Form von Linden- und anderen Straßen überlebt gleichfalls.

Sie haben etwa 29% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 71% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.