Ausgabe November 2002

Wechselseitige Rücksichtnahme

Robert Kagan zeichnet ein sorgenvolles Bild der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Bei allen Überzeichnungen liefert er eine in vielerlei Hinsicht treffende Beschreibung der zunehmenden Verwerfungen. Doch dass es dennoch "mehr als ein Klischee" sei, dass Amerikaner und Europäer nach wie vor über "einen gemeinsamen, westlichen Wertebestand verfügen", und dass das, "was sie für die Menschheit erstreben", immer noch "weitgehend deckungsgleich" ist (S. 1206), mag man am Ende der Ausführungen Kagans kaum noch glauben. Denn in seiner Zwei-Sphären-Welt scheinen die Amerikaner dazu verdammt, auf ewig die Rolle des Torwächters an der Mauer zwischen Dschungel und Paradies auszufüllen. Ihnen obliege es, mit "den Saddams", aber auch den "Jiang Zemins fertig zu werden", während unter anderem die Europäer im Kantschen Paradies "davon profitieren" (S. 1204).

Besteht wirklich noch Einigkeit über die Welt, die Amerikaner und Europäer anstreben? Die Zweifel mehren sich, weil schon die Bilder der gegenwärtigen Welt zunehmend divergieren. Der Ist-Zustand wird in Washington ganz anders beschrieben als in Paris oder Berlin.

Sie haben etwa 27% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 73% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die neue Merz-Doktrin?

von Jürgen Trittin

Jahrzehntelang durfte in keiner Grundsatzrede eines deutschen Politikers in Regierungsverantwortung der Satz fehlen: „Wir setzen auf die Stärke des Rechts statt auf das Recht des Stärkeren.“ Doch das war einmal. Bundeskanzler Merz‘ lautstarkes Räsonieren über den Krieg Israels gegen den Iran markiert den Bruch mit dieser Tradition.

Eigennutz statt Solidarität

von Klaus Seitz

Etwa eine Milliarde Euro weniger als im vergangenen Jahr steht dem Bundesentwicklungsministerium 2025 zur Verfügung. Doch nicht nur der Spardruck macht der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, auch die strategische Neuausrichtung gefährdet ihre Zukunftsfähigkeit.

Besser als ihr Ruf: Die europäische Afrikapolitik

von Roger Peltzer

Schon unter Angela Merkel hat der afrikanische Kontinent in der deutschen Bundesregierung große politische Aufmerksamkeit erfahren. Die Ampelregierung setzt diesen Kurs fort: Seit seinem Amtsantritt reiste Bundeskanzler Olaf Scholz jedes Jahr nach Afrika.