Ausgabe November 2016

»Lasst sie doch absaufen«, Teil 1

Umweltrassismus und das Ende der Heimat

Edward Said war kein tree-hugger – keiner, der Bäume umarmt oder sich zu ihrem Schutz an sie kettet. Er, der von Händlern, Handwerkern und Akademikern abstammte, charakterisierte sich selbst einmal als „Extremfall eines verstädterten Palästinensers, dessen Verhältnis zur ländlichen Welt im Grunde rein metaphorischer Art ist“. In „After the Last Sky“, seiner Meditation über die Fotografien Jean Mohrs, erforschte er palästinensisches Leben bis in seine intimsten Aspekte hinein, von der Gastfreundschaft über den Sport bis hin zu Lebensstil und häuslichem Ambiente. Noch das kleinste Detail – die Hängung eines gerahmten Bildes, die Trotzhaltung eines Kindes – löste eine wahre Sturzflut Saidscher Einsichten aus. Doch vor Bildern von palästinensischen Bauern – wie sie mit ihrem Vieh umgingen oder Feldarbeit verrichteten – verflüchtigte sich Saids Beobachtungsgabe. Welche Getreidesorten wurden da angebaut? Wie war die Bodenqualität? Gab es genug Wasser? Da kam rein gar nichts. „Ich sehe immer nur ein Volk armer, leidender Bauern, manchmal als Farbfleck, aber unwandelbar und kollektiv“, gestand er. Das sei, wie er zugab, eine „mythische“ Wahrnehmung – aber er wurde sie nicht los.

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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